Eigentlich wollte ich mich ablenken von den Bildern aus Afghanistan und las Gedichte aus alten Zeiten. Fontane war es diesmal, da ich seine Sprache und die Ausdrucksmöglichkeiten mag. Meine Mutter liebte den Dichter über alles und durch sie kam ich ein ganzes Stück über Effi Briest hinaus und das ewige Gejammer darum. Früher las ich nicht nur Gedichte von Theodor Fontane, sondern auch anderes, wie „Der Stechlin“ oder die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“.
Nun, gestern wollte ich nur Gedichte lesen von Liebe und Natur, den Jahreszeiten und solchen Dingen. Wohingegen es nichts wurde aus der Ablenkung, weil ich gleich zu Beginn ein Gedicht fand, welches mir wieder zu denken gab.
Ich zeige es mal.
Das Trauerspiel von Afghanistan
Theodor Fontane
Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da!“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“
Afghanistan! Er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.
Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:
„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.
Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“
Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all‘,
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.
Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So lasst sie’s hören, dass wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter blast in die Nacht hinaus!“
Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd‘,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.
Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.
Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.
Nur ein altes Gedicht?
Dieses Gedicht schrieb Theodor Fontane 1857.
1839 marschierten die Briten in Afghanistan ein. Das Land erlebt also nicht zum ersten Mal Besetzung und den Versuch, es zu verändern nach fremden Vorstellungen. Einen weiteren Versuch gab es 1839 – 1842 und einen dritten im 1. Weltkrieg. Dass die Briten nicht die einzigen waren, die sich in dem Land zu schaffen machten, wissen wir alle.
Mich lassen die Fragen nicht los, warum sich so vieles in der Geschichte einfach immer wiederholt. Warum fällt uns nicht mehr ein, wenn es um das Zusammenleben auf unserer kleinen Erde mit so vielen verschiedenen Menschen und Kulturen geht? Was haben all die Kriege denn nun gebracht? Und wieso meint man noch immer nicht, dass es keine gerechte Kriege geben kann und auch keine Berechtigung?
Raus und weg von aller Informationsflut
Ich habe mir dann meinen Fridolin geschnappt und bin los, alleine in den Garten. Irgendwie habe ich immer mehr Zutrauen zu dem Hilfsmittel.
Herr E. hatte seine große Tochter zu Besuch.
Manchmal kommt es mir vor, dass meine Welt zu klein ist, dass mir viel verloren geht. Die Tochter meinte aber zu mir, dass sie froh wäre, wenn ihre gehbehinderte Tochter solchen Mut zur Selbständigkeit aufbringen würde wie ich.
Das musste ich erstmal verdauen.
Im Garten blühte noch so vieles, manches zum zweiten Mal, wie die Lupine. Ich habe Tomaten geerntet, Kräuter für den Wintertee und ich habe Bodenproben geholt für meinen Versuch morgen. Die Vögel futterten in friedlicher Eintracht an der Futtersäule, wohingegen unsere Haus- und Hofmaus einen dicken Arsch hat. Sie sammelt zum Beispiel auf der Erde ohne Mühe alles ein, was die Vögel über ihr breit werfen.
Es war ein schöner Tag, auch wenn ich meine düsteren Gedanken indess nicht ganz los wurde.
Elphinstone hieß der britische General, der damals die verheerende Schlacht bei Dschalalabad unweit von Kabul zu verantworten hatte. Die wenigen der ursprünglich Dreizehntausend, die dem Massaker damals entkamen, überlebten bis auf einen danach die Passage über den Khaibar-Pass nicht.
Etwa vierzig Jahre später, am 3. September 1879, wurde der britische Gesandte und Major Sir Louis Cavagnari samt seiner Gefolgschaft von 89 Mann in der alten Kabuler Festung Bala Hissar niedergemetzelt. Die Briten hatten wieder einmal versucht, die Oberhoheit in Afghanistan an sich zu reissen.
Schon damals war klugen und einsichtigen Köpfen klar, dass eine Besetzung Afghanistans nur maßloses Leid und Unheil nach sich ziehen würde. Aber wie das mit den klugen und einsichtigen Köpfen so ist, es hört niemand auf sie und niemand nimmt sich ihre Ratschläge zu Herzen…
An Elphinstone und Cavagnari musste ich in den vergangenen Tagen sehr oft denken. Das Gedicht von Theodor Fontane kannte ich noch nicht. Danke dafür, liebe Gudrun.
Ich kannte das Gedicht auch nicht, fand es zufällig. Es hat mich recht betroffen gemacht.
Danke für deinen Kommentar. Das schönste Thema ist es nicht, aber es ist gut, darüber zu schreiben. Vielleicht gehören Besetzungen und Kriege doch mal der Vergangenheit an. So ganz gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir mal alle anders miteinander umgehen, friedlich und klüger.
Das Gedicht lässt mich fröstelnd und traurig zurück. Was lernen wir daraus? Dass die Menschheit leider nichts aus der Vergangenheit lernt. An manchen Tagen tröstet mich nicht einmal die schönste Blume auf meinem Balkon. Na ja, all zu viele gibt es auch nicht mehr. Der starke Regen der letzten Nacht hat einiges zerschlagen. Aber die Spatzen waren schon zum Frühstück hier. Immerhin!
Liebe Grüße
Elvira
Genau so erging es mir auch, liebe Elvira. Mich fröstelte, noch dazu, weil ich anderes gesucht und erwartet hatte. Und der Gedanke, dass es wohl nie aufhören wird, kam mir auch. Hoffentlich irre ich mich.
Bei uns regnet es auch ununterbrochen. Es wird wohl nichts mehr werden mit Spätsommer. Meine Spatzen kamen auch wieder und ich habe das Gefühl, dass es mehr werden. Ich freue mich schon darauf, sie irgendwann auf meinem Balkon füttern zu können. Da sind sie sicherer.
Liebe Grüße an dich.
Afghanistan ist wirklich ein gebeuteltes Land und nicht erst seit dem 20ten Jahrhundert. Also ich seinerzeit eine Kurs „Kreatives Schreiben“ für MigrantInnen gab, waren einige der Leutchen aus Afghanistan. Reizende, freundliche Menschen mit tiefen Narben in der Seele. Bei den Vorgaben zum Schreiben, musste ich sehr vorsichtig sein, Themen zu finden, die nichts triggerten. Ich erinnere mich gut an einen jungen Mann, der nur noch einen Arm hatte, das bezauberndste Lächeln, die traurigsten Augen und so viel Talent.
Danke für das Gedicht und die Erinnerung dringend mal wieder Fontane zu lesen.
Das Gedicht ist ein bissel lang, aber ich habe es trotzdem hier platziert. Es hat mich so betroffen gemacht, dass das Land (und auch andere) einfach nicht zur Ruhe kommen können.
Ich habe mal mit Kindern in einem Aufnahmeheim gefilzt. Ein kleines Mädchen beschwerte sich, dass sie immer auf ihre kleine Schwester aufpassen muss. Auf die Frage, wo die Mutti sei, antwortete sie: „Die Mama liegt immerzu im Bett und weint.“ Das hat mir so weh getan. Ich möchte nicht wissen, was diese Frau erlebt hat.
Liebe Grüße
Dieses Gedicht von Theodor Fontane kannte ich bisher nicht – obwohl ich schon einiges von ihm gelesen habe – wie zuletzt den „Stechlin“
Und ja, es treibt auch mir einen Schauder über den Rücken – zumal wir alle ja wissen, dass das darin beschriebene Drama in Afghanistan bis heute seine Fortsetzungen findet.
Woraus sich mal wieder die Frage ergibt, warum eigentlich kein Politiker aus solchen Geschichten etwas lernt?
Schlussendlich müsste man doch einem Land wie Afghanistan (beispielhaft auch für andere Länder) das selbe Recht auf „Selbstbestimmung“ und eine eigene Kultur zugestehen, wie wir sie auch für uns in Anspruch nehmen – auch wenn dabei am Ende ein ganz anders Ergebnis steht, als wie mit unserer westlichen Sicht das gut heissen?
Wobei ich mit meiner „westlichen Sicht“ – und den ihr zugrunde liegenden , über Jahrhunderte hinweg sich entwickelnden und erkämpften Freiheiten – anderseits allerdings auch das Gefühl habe, dass da gerade etwas mächtig in die falsche Richtung geht, wenn jetzt nach dem Abzug der ausländischen Kräfte viele Menschen Gefahr laufen, anschliessend in einem religiös geprägten, geradezu vorsintflutlichen Unterdrückungssystem leben zu müssen – ähnlich dem, wie es zu Zeiten der Inquisition ja auch hier in Europa Gang und Gäbe war – religionsbedingte Kriege inklusive.
Vielleicht ist es aber auch so, dass Länder wie Afghanistan einfach Zeit brauchen, um aus sich selbst heraus für dieses Problem Lösungen zu finden, ohne dass da von aussen etwas aufdoktriniert wird.
Wir hier in Europa sind ja auch nicht direkt aus den dunklen Zeiten der Inquisition in die freiheitliche Moderne gesprungen….
Im Gegenteil war das auch ein jahrhundertelanger und schmerzhafter Weg, der mit viel Blutvergiessen, Kriegen und Revolutionen einherging, bis wir da angekommen sind, wo wir heute stehen……
Deinen letzten Absatz, lieber Wilhelm, kann ich voll zustimmen. So sehe ich das auch.
Den Politikern mache ich keinen Vorwurf. Sie fäühren nur aus, was eh schon auf der Agenta steht. Clara hat es auf den Punkt gebracht.
Damals, als es um das Mandat zum Auslandseinsatz ging, war auch gerade Wahlkampf und eine Partei, die ich ursprünglich mal gar nicht so schlecht fand, stimmte nach anfänglicher Ablehnung nun doch zu. Man wollte mitregieren und machte halt Zugeständnisse. Ich habe sie nicht gewählt. Leider, und das macht mich manchmal wütend, habe ich nur ein kleines Gudrun-Stimmchen.
Liebe Gudrun, so lange es reiche und erfolgreiche und machtbesessene Länder gibt, die überall den Weltpolizisten spielen oder es auch sind, so lange es in armen Ländern Bodenschätze oder anderes gibt, was die Reichen begehren und sich aneignen wollen, so lange der Mensch insgesamt gierig und machtgeil ist – so lange glaube ich nicht, dass es Ruhe und Frieden auf der Welt geben wird.
Ich finde alles so schrecklich, dass ich tatsächlich so wenig wie möglich Nachrichten oder anderes sehen möchte – das Politchaos in unserem Land reicht mir schon Oberkante Unterlippe.
Ganz, ganz lieben Gruß von
Clara
Clara, dir stimme ich voll und ganz zu, denn so sehe ich das auch.
Manchmal komme ich mir so winzig vor, aber jetzt habe ich beschlossen, mich wenigstens dort einzumischen, wo ich es kann.
Clara, ich schick dir liebe Grüße in dein Berlin. Ich schätze, bei euch regnet es auch Sackschnüre wie hier.
Nix da mit „Sackschnüre regnen“ – obwohl es laut WetterApp schon seit Stunden angekündigt wird. Bei mir scheint es eher Schmeißfliegen zu regnen – immer, wenn ich in ein Zimmer komme, sind neue am Fenster, die ich mühsam wegfangen muss.
Morgen kommen Berichte darüber.
Hier streikt die S-Bahn, da ist es eh besser, zu Haus zu bleiben.
Bei uns sind gerade die ersten Hochwassermeldungen raus, an der unteren weißen Elster und der Parthe. So schnell zieht das Regengebiet nicht ab.
Ich hatte mal einen Kater, der war ein ganz eifriger Fliegenfänger.Meine Penny ist dazu viel zu faul. Die kann ich dir also nicht borgen.
Noch guckt die Welt nach Afghanistan, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch wieder aufhört und es keinen mehr interessiert, was dort passiert. Die Welt guckt ja auch weg, wenn es um den Jemen geht, um den Sudan und all die anderen Krisenherde dieser Welt.
Wir diskutieren hier über lächerliche Flüchtlingskontingente, darüber, wer auf irgendwelchen Listen steht und wer nicht. Es werden schon „dableiben“ Prämien bezahlt, die Schicksale der Frauen und Mädchen, wen interessiert das und was wird getan….
Die einzigen, die sich wohl weiter engagieren werden, sind NGOs, private Initiativen und die „große“ Politik guckt weg, auch wenn man jetzt noch versucht, zumindest einige Menschen da raus zu holen. Menschen reichen ihre Säuglinge über Zäune, wie verzweifelt muss man sein…
Diese Bilder sind für mich kaum zu ertragen. Vor 20 Jahren schon habe ich mir das Maul fusselig geredet, dass ein militärischer Einsatz dort und anderswo nicht richtig ist. Die meisten schwiegen und andere sagten mir, dass ich doch keine Ahnung von Demokratie hätte. Mmm.
Und was ist nun geblieben außer einem Desaster und noch mehr Hass?
Meine Hilflosigkeit macht mich wütend.
Das Gedicht kannte ich noch nicht. Es streift die bereits vorhandene Betroffenheit. Erstaunlich was du so findest! Danke fürs zeigen. Wie so viele Menschen frage ich mich auch vergebens, warum wir so wenig aus der Vergangenheit lernen.
Ich kannte es auch nicht, liebe Isa, hatte eigentlich etwas anderes gesucht, etwas zum Ausgleich. Und dann war es wie ein Fingerzeig.