Mein langer Weg nach Tübingen und Worte, die man schmecken kann.

Was auch passiert, es ist nie „alles vorbei“, „am Ende“, hoffnungslos. In keiner Lebenssituation ist das so und auch in keiner allgemeinen Krise. Das habe ich erst gestern wieder erfahren und muss davon erzählen.

Irgendwann musste ich mich mal entscheiden, wo und was ich studieren will. Wenn ich die freie Wahl gehabt hätte, wäre ich gerne nach Tübingen gegangen. Mir gefällt die Stadt sehr und die Gegend. Und die Uni sagte mir sehr zu. Nach Tübingen, über Grenzen hinweg, durfte ich damals nicht. Jetzt wäre das möglich. Und das war es auch, denn gestern habe ich eine Vorlesung der Uni Tübingen hören dürfen..

in einer Vorlesung an der Uni Tübingen, von zu Hause aus
Schreibzeug, Tablett, Brille – mein ganz privater Platz in der Vorlesung

Gasthörer an meiner Uni war ich gerne. Ich brauche das: neues Wissen, neue Sichten auf manche Dinge, das Nachdenken über gerade Gehörtes und Gesehenes. Im Moment brauche ich jemand, der mich dahin begleitet. Kann ich das jemand zumuten, sich in eine Germanistik-Vorlesung zu hocken, nur weil mir das so gefällt? (Keine Sorge, ich arbeite an mehr Mobilität.) Abgesehen davon ist es aber auch gerade nicht möglich. Corona verhindert es.

Als ich das am Telefon meiner Tochter erzählte, meinte sie: „Warte, ich habe da was für dich.“ Und dann schickte sie mir einen Link und ich saß in einer Vorlesung der Uni Tübingen bei Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter.

Die Professorin hielt ihre Lesung vor leeren Stühlen. Zu Corona-Zeiten sitzt keiner im Hörsaal. Irgendwie ist das traurig, es bietet aber auch neue Chancen der Wissensvermittlung und -aneignung.
Wäre ich sonst an die Uni Tübingen gekommen?

Ich werde mir den ganzen Zyklus anhören, denn es es war hochinteressant. Um Ästhetik in der mittelalterlichen Literatur geht es. Ästhetik – das ist auch so ein Begriff, von dem erstmal jeder seine eigene Vorstellung hat (und auch meint, die als die absolute Wahrheit herauspoltern zu können.) Die Gleichstellung mit „das Schöne“ oder dem, was jeder darunter versteht, ist zu wenig.

Und dann geht es halt um Sprache. Es hat mich schon immer interessiert, wie sie entstand und sich entwickelte. Ich begebe mich gerne auf eine Zeitreise, so weit wie möglich zurück. Parallelen zur Gegenwart gibt es immer und überhaupt bin ich der Meinung, dass wir uns um unsere Sprache etwas mehr bemühen sollten.

Die Vorlesung fesselte mich von der ersten Minute an. Langeweile kam zu keiner Zeit auf. Vielleicht schreibe ich das der Frau Prof. mal, damit das Halten einer Vorlesung vor leeren Rängen erträglicher ist.

Ach ja, ein Wort spielte gestern eine Rolle, bei dem ich sofort an den Emil denken musste, der so sehr möchte, dass alte, aber schöne Worte nicht in Vergessenheit geraten. (Die Professorin sagte an einer Stelle, dass man Worte schmecken kann.) Das Wort, was mich gestern so begeistert hat war „das Erhabene“. Ich finde es schön, auch wenn ich den Inhalt noch ergründen muss.

Fazit: Das Internet empfinde ich im Zusammenhang mit Wissenserwerb als einen Segen. Ich verstehe Menschen nicht, die das nicht nutzen. Seine Zeit kann man einerseits damit verbringen, gegen bestimmte Dinge ständig und immer lauter anzurennen oder man nutzt sie andererseits, um sich auf veränderte Bedingungen einzustellen. Manchmal entstehen so ganz neue Chancen.

Mir ging es gestern so richtig gut, denn schließlich war ich nun doch noch in Tübingen angekommen.

18 Gedanken zu „Mein langer Weg nach Tübingen und Worte, die man schmecken kann.“

  1. „Seine Zeit kann man einerseits damit verbringen, gegen bestimmte Dinge ständig und immer lauter anzurennen oder man nutzt sie andererseits, um sich auf veränderte Bedingungen einzustellen. Manchmal entstehen so ganz neue Chancen.“

    Sehr richtig, Gudrun.
    Und das ist es doch, was uns Menschen eigentlich auszeichnet. Unsere Anpassungsfähigkeit – und das Nutzen von Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.

    1. Ach auf der Suche nach Wissensquellen war ich schon immer. So weiß ich eben, dass Vogelbeeren nicht giftig sind und eine tolle Marmelade ergeben (mache ich gerade), wo es herkommt, wenn die Berliner „bis in die Puppen“ treibt oder was der Club of Rome zu sagen hat. Egal, wofür man es braucht, Wissen schadet nie und sollte immer frei zugänglich sein, für jeden.

  2. Danke für den Tip. Das interessiert mich auch. Ich habe ja eh den Grundsatz: Neues Wissen soll man nie ablehnen. Das ist schon eine feine Sache. Ich werde mal sehen, ob es Philosohpie Vorlesungen finden. Alles Liebe

    1. das hier kann hilfreich sein, beim Suchen. edukatico.org/ de
      Ich habe den Link zerteilt und hoffe dass er so hier stehen bleiben kann

    2. Bestimmt. Ich hatte da schon mal einiges gefunden, habe nur Philosophie-Vorlesung online gesucht. Ich finde es toll, wenn Wißensquellen frei zugänglich sind. In den Schulen würde ich das üben, üben, üben damit jeder damit umgehen und das nutzen kann. Bei uns zu Hause gab es schon immer den Grundsatz: Man muss nicht alles wissen, aber immer finden können, wo es geschrieben steht.
      Liebe Grüße

      1. Danke Isa, da werde ich gleich mal gucken. Ich finde ebenfalls das Digitale Kompetenz ein Schulfach sein sollte. Die Möglichkeiten sind schon toll. Hab es fein

  3. Das Wort Schmetterling schmeckt ganz besonders, wie ich finde 🙂
    Mich freut es auch, dass es noch unverschlüsselte und kostenfreie Bildungsmöglichkeiten im Net gibt. Lebenslanges Lernen ohne Zwang und Benotung. Themen der persönlichen Neigung entsprechend – das ist eine feine Sache

    1. So empfinde ich das auch, liebe Isa. Früher wollte ich immer in die Unibibliotkek dackeln und endlich dss lesen was ich will, nicht was ich muss. Da habe ich es jetzt besser.

  4. Meine Tochter hat sich gerade u. a. in Tübingen für ein Psychologiestudium beworben … klasse, daß du da so daran teilnehmen kannst! Liebe Grüße Ellen

    1. Oh, da haben wir also beide Psychologie-Töchter! Das ist die P., gell? Wer experimentiert dann außer dir in der Küche?
      Liebe Grüße auch an dich.

  5. Toll, dass das so geht – per Internet an einer Vorlesung teilnehmen zu können. Ja, ich glaube, das eröffnet auch wirklich neue Chancen. Selbst wenn man nicht so mobil ist, wie man es gerne sein möchte, kann man dennoch dabei sein. Schon toll!
    Dass Du der Professorin schreiben möchtest, wie gut Du es gefunden hast, an ihrer Vorlesung auf diesem Wege teilhaben zu können, finde ich gut. Ich kann mir schon vorstellen, dass es auch sie motiviert, die doch sicher sonst immer viele Zuhörer vor sich sitzen sieht. Es muss schon komisch sein, vor leeren Stühlen zu stehen und eine Vorlesung zu halten.
    Liebe Grüße von der Silberdistel, die Dir noch viel Freude bei den weiteren Vorlesungen wünscht

  6. Für mich ist das Internet auch ein nie versiegender und überreicher Born an Wissen und Informationen. Und ich nutze dies zumeist mit großer Freude. Was ich sehr gerne mache, ist nach schönen und interessanten Ausflügen wie neulich nach Bamberg, mich in die Geschichte und Kultur eines Ortes einzulesen. 😉
    Liebe Grüße!

  7. Oh das ist. Ja fantastisch, wie du nun die Möglichkeit nutzen kannst Vorlesungen zu hören. Klasse! Das Thema finde ich übrigens auch sehr spannend.
    Weiterhin viel Freude und Inspiration wünsche ich dir liebe Gudrun.

  8. Oh ja. Schöne, alte, heute ungebräuchliche und vielleicht sogar „aussterbende“ Wörter.

    Ich hab da eine ganze Liste (gut drei Dutzend), die ich mal in Texten verwenden möchte. Eins davon ist der Rockzipfel …

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