Eigentlich. Das Wort, das sich gewandelt hat.

Irgendwie ist mir heute das Herz schwer. Den ganzen Tag gab es nur Hiobsnachrichten, offizielle über die Nachrichtenkanäle aber auch Private. Ich habe das Gefühl, dass es nichts Stetiges mehr gibt, nichts an dem man sich orientieren kann. Eigentlich brauche ich so etwas, um Ziele zu finden und Pläne zu machen. Eigentlich.

Für Karin: Leichtigkeit

Das Wort „eigentlich“ verwende ich so oft. Jaja, die Einschränkung, ich weiß. Aber darum geht es mir heute gar nicht, denn die Wortbedeutung hat sich geändert im Laufe der Zeit.
Im 12.Jahrhundert hieß das Wort noch eigenlich, von „eigen, im Besitz haben“. Ich habe heute mal im „Kluge“, dem Etymologischen Wörterbuch nachgelesen. Noch immer finde ich die Wortherkunft und Sprachentwicklung spannend. Darüber will ich aber gar nicht schreiben, eigentlich.

Eigentlich geht es mir gut. Ich habe eine schöne Wohnung, habe zu essen … Aber mir fehlt dennoch etwas.

Bohnenkraut
Ich habe Bohnenkraut getrocknet, das letzte Geschenk vom Gartennachbarn.

Langeweile kenne ich nicht. Ich konnte mich schon immer gut beschäftigen, auch alleine. Aber ich möchte mich nicht nur einfach beschäftigen. Ich möchte noch etwas schaffen, etwas das bleibt. Na gut, Corona hat schon ordentlich dafür gesorgt, dass ich mich nicht ins Getümmel gestürzt habe. Mir fehlt es aber, meine Veranstaltungen, vertraute Räume und Menschen.

eigentlich zu schade zum Wegtun
Sie hatte den Transport vom Garten nicht gut überstanden, aber in wenig Wasser hält sie sich tapfer.

Seit dem 01.09. durfte ich in Rente gehen, ohne Abzüge. Die Schwerbehinderung macht das möglich und heute dröhnte es bei mir so richtig rein: Jetzt bist du ganz raus! Und dann gab es erstmal Tränen. Und dann war ich wieder bei dem „eigentlich“.
Ich wäre jetzt bei Freunden im Landkreis auf ihren Bauernhof. Seit Wochen habe ich mich darauf gefreut, auch deshalb, weil ich Schafe hätte streicheln , ihnen in die Wolle fassen, sie riechen hätte können. Dann wurzelte mir dieses blöde Rheuma wieder dazwischen und der Kampf, den ich gerade mit Medikamenten habe. Mist!

Leichtigkeit
Endlich habe ich ein Fotomotiv gefunden für Karin Brauns „Leichtigkeit“. Und was suchen wir nun?

Nach Wyhra wollte ich noch mal fahren, in das Volkskundemuseum, in dem ich mich immerso wohl gefühlt habe. Es ist geschlossen, wird umgebaut und ist dann ganz anders. Im Moment habe ich das Gefühl, dass sich verdammt viel verändert, verschwindet, anders wird.

Und nun?
Nun suche ich mir gleich einen Zettel und einen Stift und male und schreibe auf, was ich in der nächsten Zeit für Pläne haben kann. Auch eine Variante für das stille Kämmerlein wird es geben. Mein Gekrakel kann wahrscheinlich nur ich lesen. Aber eigentlich ist das egal. Es wird mir helfen.
Mal sehen, was mir einfällt.

20 Gedanken zu „Eigentlich. Das Wort, das sich gewandelt hat.“

  1. Erst mal meinen allerherzlichsten Glückwunsch zur Rente…
    Da bist Du jetzt ja einen Schritt weiter als ich 😎

    Und zum Rheuma hoffe ich natürlich für Dich, dass da endlich mal ein wenig Ruhe einkehrt und Du auf einen Stand kommst, wo Ihr Beide – also die Krankheit und Du – Euch miteinander arrangieren könnt.
    Das Beste, was man erreichen kann, wie finde….

    Zu Deiner Liste drücke ich Dir die Daumen, auf dass sie möglichst lang werden möge 🙂

    1. Ich weiß nicht, ob dieses Arrangieren mal möglich ist. Schön wäre es. Genau so schön wäre es, wenn mal etwas von längerer Dauer wäre, wenn man es einmal für gut befunden hat.
      Die Liste wird bestimmt erstmal lang und wird dann auch wieder zusammengestrichen. Aber etwas bleibt bestimmt übrig.

  2. das Auf und Ab ist mir wohl bekannt und auch ich muss mich immer wieder neu aufstellen. Eigentlich sehnen sich Menschen nach Gemeinschaft, nach einer Aufgabe die ihren Interessen entspricht. Da kann ich nachvollziehen, dass du die Orte der Begegnungen, die dir wichtig waren, sehr vermisst. Die Leichtigkeit gleicht da einer Seifenblase. Man muss sie sich stets aufs Neue erschaffen. Mal schauen, ob ich auch eine Liste zustande bringe 🙂

    1. Ach, Isa, gerade träume ich nachts wieder und wieder, dass ich über die Schafwiesen laufe. Im Dauerlauf. Und dann wache ich auf, weil ich weine. Ich glaube, ich kann einfach nicht loslassen.
      Aber die Liste, das wird! Und daran merke ich dann doch, dass noch einaar andere Gedanken da sind.
      Ich drück dich mal aus der Ferne.

  3. Ich kenne dieses „eigentlich „zur Genüge. Benutze es viel zu oft.
    Sei nicht traurig, freu dich auf deine Rente. Ich muss noch ganz lange arbeiten.
    Schade das dir dein Rheuma immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht.
    Pläne schmieden hört sich immer gut an.
    LG Marion

    1. Das blöde Rheuma ist so unberechenbar. Da geht es mir einen Tag gut und da jubele ich schon, dass jetzt alles besser wird und dann donnert es wieder rein. Mal so, mal so, daran werde ich mich gewöhnen müssen.
      Die Rente betrachte ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ich hatte doch noch so viel vor. (eigentlich)
      Ich schicke dir ganz liebe Grüße.

  4. Das Eigentlich finde ich nicht mal das Schlimmste. Das darauf folgende Aaaaaber ist für mich meist wesentlich unangenehmer …

    Ach wie gut, daß Du den Verfolgungsbetreuungsamtsstreß hinter Dir hast.

  5. Das ist alles nicht einfach. Auf der einen Seite sieht man selbst, wie gut man es hat (Essen, Zuhause …), aber da sind all die anderen Dinge, die einem das Leben schwer machen. Und all die Veränderungen. Und daß man sieht und erlebt, wie man älter und älter wird und der Körper nicht mehr mitmacht. Und daß sich das Gewohnte und Geliebte verändert. Auch Orte und Dinge. Mir tut das auch oft sehr weh. Ich versuche halt immer, diese Dinge und Gedanken und Gefühle von mir zu schieben. Manchmal gelingt das, aber oft auch nicht. Das ist wohl das Leben. Hm. Alles Liebe für dich!
    Ellen

    1. Danke, liebe Ellen. Da geht es mir ja nicht alleine so. Alles beiseite zu schieben gelingt mir auch nicht. Manchmal bedauere ich das. Und dann denke ich mir, was wärst du dann für eine gefühllose Trine.
      Ich grüße dich herzlich.

  6. Gudrun, die orangerote Dahlie in der blauweißen Keramikschale – eine Augenweide. Hoffentlich hält sie sich noch ein wenig.
    Deinen Satz „Eigentlich geht es mir gut. Ich habe eine schöne Wohnung, habe zu essen … Aber mir fehlt dennoch etwas. “ könnte ich auch schreiben, aber mir fehlen ganz andere Dinge als dir. – Heute Nacht habe ich zwischen 1.30 Uhr und 2.30 Uhr ca. 4000 Schritte zurückgelegt, weil ich das Klopfen in der Brust und das Sausen in den Ohren nicht mehr aushielt – mein komischer Brutdruck muss wirklich mal mit was anderem als Tabletten behandelt werden. Einen neuen Hausarzt kann ich mir nicht suchen, weil die keine neuen Patienten annehmen – und bei meinem bekomme ich Mitte November einen Termin.
    Alles Gute für dich und deinen Kampf mit den Medikamenten.
    Lieben Gruß von Clara

    1. Ach, Clara, wenn ich dich doch beruhigen könnte. Ich weiß, wie unangenehm so etwas ist.
      Ich wohne jetzt unmittelbar neben einer Poliklinik. Zwei Allgemeinmediziner sind in Rente gegangen, neue sind nicht da. Ich werde also weiter lange Wege haben. Ich drück dir ganz fest die Daumen, dass alles besser und wieder gut wird.
      Ruh dich jetzt aus.
      Ich schicke dir liebe Grüße.

  7. Ich glaube der Emil hat recht. Wenn der Satz lautet: „Eigentlich ist alles gut“ sollte er mit einem Punkt enden und nicht mit „, aber …“ Es gibt dieses „auf einmal ist alles anders“. Auch mir fällt es oft schwer das zu akzeptieren, zu Mal ja nicht jede Veränderung zum Besseren ist.
    Die Rente würde ich eher als Befreiung betrachten, jetzt kannst du Sachen machen zu denen du Lust hast, ohne das dir jemand Druck macht, weil du nicht so viel auf einmal kannst. Ich träume von der Rente. Noch zwei Jahre!

    1. Naja, die Rente ist winziglich und beim Antrag hat man mich gefragt, ob ich zur Wende in Leipzig war. Ja, war ich. Pech, denn sonst hätte man anders gerechnet.
      Auch jetzt werde ich mich wieder einrichten. Das ist es nicht.
      Ach, Karin, ich wollte noch so viel machen. Nicht unbedingt für mich, für andere. Das ist das ABER.

  8. Ich habe das Wort eigentlich mehr oder weniger erfolgreich aus meinem Wortschatz gestrichen.
    Was die Rente angeht, erst mal bist Du vom Amt der Ämter und deren Schikanen weg und machen könntest Du ja trotzdem noch. Das das nicht geht, ist ja eher dem Rheuma als der Rente geschuldet, aber wer weiß, vielleicht tut sich auch damit noch was auf. Wir haben bei Martins Erkrankungen auch oft gedacht, dies oder jenes wird nicht mehr gehen und dann ging es doch. Ich würde mir erst mal alle Hilfsmittel an Land ziehen, die es gibt und die bezahlt werden. Die stehen Dir schließlich zu.Vielleicht wäre ja auch eine Reha mal was. Martin hat sie durchaus geholfen.
    Was geht und was nicht geht, ist oft nicht vorhersehbar, das macht es natürlich schwierig, längerfristige Pläne zu machen oder sich z.B. ehrenamtlich zu engagieren, wie er es vor hatte. Und trotzdem geht immer mal wieder was und es gibt die Tage, an denen gar nichts geht. Das ist dann so. Wir konnten nun die ganze Zeit keine Rollerausflüge machen, auf die wir uns so gefreut haben, aber was nicht geht, geht halt nicht und dann machen wir die, wenn es wieder geht. Es ist nicht immer leicht, das zu akzeptieren und so hinzunehmen, andererseits nützt es aber auch nichts, sich innerlich immer wieder zu wehren, das kostet unnötig Kraft. Was auf Rügen gehen wird, wissen wir nicht. Wir lassen es auf uns zukommen und zur Not karre ich ihn über die Insel und wir gucken uns alles so an. Große Wanderungen können wir eh nicht machen, also suche ich gerade im Netz schöne Ecken, die gut zu erreichen sind und wo Martin nicht weit laufen muss. Aber ganz zu sagen, es geht nicht, nur weil nicht alles geht, was wir vielleicht gerne machen würden, das kommt auch nicht in die Tüte.
    Ich wünsche Dir wirklich sehr, dass Du ein bisschen mehr inneren Frieden findest und nicht dauernd gegen Dich selber ankämpfst und mit Dir haderst.

    1. Stimmt, es ist alles unberechenbar geworden. Damit bin ich noch lange nicht fertig. Aber ich arbeite dran. Corona macht es nicht gerade leichter.
      In allen Erdgeschosswohnungen wohnen Menschen, die in der Mobilität sehr eingeschränkt sind. Wenn ich schon meine Veranstaltungen nicht mehr machen kann, dann vielleicht bei mir zu Hause, für genau diese Menschen. Mal sehen.
      Jetzt muss ich erstmal wieder „auf die Beine kommen“. Mich hat es arg erwischt.

  9. Liebe Gudrun Rente hört sich erst einmal gut an. Bei mir reicht sie leider nicht aus für ein entspanntes Leben aber das soll nicht das Thema sein. Ich verdiene noch hinzu aber die Rente gibt mir auch so eine Art Sicherheit. So eine Grundsicherung sozusagen. Aber Corona macht so vieles schwer oder sogar unmöglich und da fehlt mir so langsam aber sicher die Geduld. Ich kann Dich so gut verstehen so vieles können wir einfach nicht tun und egal was es ist es ist alles so kompliziert oder nicht möglich. Ich hoffe sehr darauf, dass wir bald wieder in so eine Art NormalZustand zurück dürfen. Liebste Grüße von Dori

  10. Liebe Gudrun, dein Artikel hat mich innerlich bewegt und ich habe mal die Worte eigentlich und aber auf mich wirken lassen.
    Nur zu vertraut sind mir diese Beiden: Eigentlich und aber.
    Schon oft vernahm ich ihren Klang.
    Aber welche Emotion, welche Stimmung klingt in ihnen nach?
    Der Erste hinterlässt eine Mischung aus Hoffnung, Wehmut und Verzagtheit und der Zweite tönt dominant, autoritär und besserwisserisch.
    Was geschah in den Sekunden bevor diese Worte zu Gedanken wurden?
    Welches Gefühl steigt in mir auf, wenn ich dem nachspüre?
    Wessen Stimme entsprang das „Eigentlich“ und wer fiel ihm ins Wort?
    Wohnen da zwei Seelen in meiner Brust?
    Und was ist mein Part bei diesem Zwiegespräch?
    Bleibe ich stiller Beobachter oder habe ich Mitspracherecht?
    Ich sende sonnige Herbstgrüße zu dir nach Leipzig.

  11. Dann bist du jetzt im wohl verdienten Ruhestand, von dem viele schon lange vorher träumen. Bis 67 arbeiten gehen wird uns schwer fallen, wer ist dann noch fit?
    Eigentlich – ja das Wort wird oft benutzt, aber seine Herkunft kannte ich bisher nicht. Danke für die Erklärung.
    Vieles ist dieses Jahr anders. Man kann kaum reisen, große Feste und Feiern sind abgesagt, es gibt Einschränkungen und Vorschriften. Aber eigentlich: geht es uns gut. Wir haben zu essen, zu trinken, keine Dürre, keine Katastrophen. Wir müssen lernen mit weniger zufrieden zu sein, uns einzuschränken.
    Ich hoffe, es geht dir inzwischen wieder besser liebe Gudrun.
    Viele Grüße von Kerstin.

  12. Glückwunsch zur Rente. Ich sehe das so wie Birte, du hast die Schikanen des Jobcenters etc. hinter dir… Mit dem Schicksal zu hadern und sich oft vor Augen zu halten, was nun alles nicht mehr möglich ist, bringt nichts, so etwas ist ein ganz fieser großer Krafträuber. Schöner und aufbauender ist es, nach gangbaren Alternativen zu suchen. Wie ein Flusslauf. Wenn – aus welchen Gründen auch immer – Hindernisse seinen Lauf hemmen, dann sucht er sich gemächlich ein neues Bett. 😉
    Liebe Grüße!

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