Dieser Tage hatte ich in einem Blogbeitrag ein Video mit einem Song von Max Raabe verlinkt. Und weil es mir so gut gefiel, hörte ich mir dann noch viel mehr an von Max Raabe, zum Beispiel „Das Fräulein Gerda“. (Link zu Youtube)
An was erinnerte mich das bloß? Ich hörte ein Saxophon und mir wurde sowohl fröhlich, aber auch etwas beklommen zumute.
Zum Saxophon komme ich gleich. Zuerst suchte ich mal nach dem Ursprung des Liedes. Ich kannte das Lied, aber was ich dann über den Sänger und Songschreiber Peter Igelhoff las, fand ich interessant.
Igelhoff, 1904 in Österreich geboren, arbeitete von 1924 bis 1932 als Beamter in Wien, brach seine Beamtenlaufbahn ab und studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien und London. In Berlin fing er an zu arbeiten als Unterhalter am Klavier.
(Auf der Suche nach meinem mulmigen Gefühl ging mir an dieser Stelle langsam ein kleines Licht auf.)
Igelhoff kennen bestimmt einige von euch, z.B. seine Lieder Tante Jutta aus Kalkutta, Das Nachtgespenst, In meiner Badewanne bin ich Kapitän und Der Onkel Doktor hat gesagt. Die beschwingte Musik und die leichten Texte kamen beim Publikum gut an, bei den Nationalsozialisten weniger. Igelhoffs Musik war zu amerikanisch. Er wurde von der Reichsmusikkammer mit Auftrittsverbot belegt und musste 1942 an die Front einrücken.
Und schon nähere ich mich dem Saxophon und kann meine Gefühle nun deuten. Das kommt mir nicht unvertraut vor. Von Igelhoff kam ich zu der „zu amerikanischen Musik“, vornehmlich dem New Orleans Jazz, zu Juke Ellington zum Beispiel oder Louis Amstrong, Glen Miller und zu meinem Dad.
Mein Dad stammte aus gutbürgerlichem Hause, schmiss die höhere kaufmännische Schule und ging auch an eine Musikschule. Die Folge: Er wurde enterbt. Seinem Saxophon und den beiden Klarinetten blieb er treu.
Nach dem Krieg arbeitete mein Vater in einer Bigband. Nachts saß er am Radio und schrieb die Noten für jedes einzelne Instrument der Glenn Miller Bigband auf. Er erzählte mir, dass die Saxophone in diesem Orchester so hell klingen, weil immer eine Klarinette den Part mitspielt.
Mein Vater erzählte mir aber auch, dass von der Lebensmittelkarte, die er als Musiker bekam, keine Familie satt wurde. Der Trompeter fiel mal vor Hunger vom Stuhl. Und als der Orchesterleiter sich mit der Kasse nach dem Westen absetzte, gab er seine Musik auf. Saxophon und die Klarinetten blieben von da an unberührt und mir wurden alle Berufswünsche in Richtung Musik ausgeredet.
Auf dem Boden bei uns stand eine alte Truhe. Darin waren Zeitungsausschnitte: „Heute wieder Tanz mit dem beliebten Hermann K.“ Aber der Hermann hat dann aufgegeben.
Nein, Kriege mit allen Folgen sind durch nichts zu rechtfertigen.
Und zum Schluss nochmal Max Raabe und das Palastorchestermit mit „Schlafen geht das kleine Saxophon“. (daher hab ich meine Überschrift, Erinnerungen und die eine oder andere Träne)
Mit meiner Lebenserfahrung jetzt, würde ich meinen Vater in den Arm nehmen und ihm etwas ganz, ganz Wichtiges zu sagen haben. Wenn es doch etwas geben sollte nach dem irdischen Leben jetzt: Dad, warte, wir machen einst beide zusammen Musik!
Es ist traurig, wenn jemand diesen Traum aufgeben muss. Viktor ist Musiker und hat lange Zeit von Straßenmusik gelebt, bis auch das nicht mehr ging. Heute spielt er in einer Bigband und einem Jazztrio, aber davon leben? Nee, das kann er nicht genau so wenig wie ich vom Schreiben. Das kommt mir manchmal sehr bitter hoch. Als Kind sagen sie dir, du kannst alles werden, folge deinen Träumen, du sollst glücklich sein, nur vergessen sie dir dabei zu sagen, wie du davon leben sollst. Viktor und ich haben sind bei unseren Träumen geblieben, aber wir zahlen einen Preis dafür und das nicht immer gerne. Ich danke dir für diesen Beitrag. Alles Liebe
Im Moment macht mir Sorge, dass Kunst- und Kulturförderung und auch die Jugendarbeit sehr zurückgefahren werden. Manch ein Verein gibt auf, weil er die Kosten nicht mehr stemmen kann. Veranstaltungen werden abgesagt, weil zu wenig Karten verkauft wurden. Viel Geld wird für anderes gebraucht.
Mein Vater hat mir etwas ganz Wichtiges mitgegeben, nämlich, dass Musik nicht aufzuhalten ist. Sie fließt, bringt Elemente aus anderen Kulturen mit. Man kann sie verbieten und verteufeln, aber aufhalten und unterdrücken nicht.
Im Moment scheint einiges daneben. Wo ist die alte Weisheit hin „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder“? (geht auf Seume zurück, der in Leipzig studierte und Tätig war, vielleicht schreib ich da mal einen Beitrag.)
Liebe Grüße an Euch
Diese alte Weisheit stimmte aber leider im Nationalsozialismus schon nicht mehr liebe Gudrun.
Herzliche Grüße -Elke
Ja, ich weiß, liebe Elke. Darüber haben wir gestern den ganzen Abend diskutiert, hier zu Hause. Ich möchte trotzdem, dass gesungen wird, alles außer natürlich allen gewaltverherrlichenden oder beleidigenden Gesängen, Naziliedern u. ä. Wer mich kennt, weiß das. Mein Vater hat mir beigebracht, was humanistische Bildung ist und wie wichtig sie ist. Es macht mich wütend, wenn gerade da gespart wird.
Ich kenne allerdings auch Zeiten in meinem Leben, da wurde viel verboten, reglementiert. Wir waren an der Penne ein richtig guter Chor und wollten ein Lied von Simon and Garfunkel singen. Wir durften es nicht und manche von den gewünschten Liedern wollten wir nicht. Es ging da nur um ein bisschen Liebe, aber es war ein Lied vom Klassenfeind.
Herzliche Grüße an dich.
Das rührt mich jetzt sehr mit deinem Papa liebe Gudrun. Aber du bewahrst die Erinnerungen. Herrlich die alte Aufnahme von Igelhoff. Man könnte meinen, da singt der Max Raabe. Ich finde den so toll, da wird man immer in die alte Zeit versetzt. Und er passt vom Äußeren auch perfekt dazu.
Liebe Grüße von Kerstin.
Igelhoff und Raabe, diese Gemeinsamkeiten fielen mir auch auf. Und da habe ich halt mal ein bisschen weiter gelesen und gehört, kam von einem zum anderen.
Vielen Menschen hat der Krieg damals die Träume zerstört. Und leider ist das heute an vielen Stellen der Erde auch wieder so.
Liebe Kerstin, ich schicke dir liebe Grüße in die Aue.
Ach Gudrun, wenn ich das lese und höre, da möchte ich gleich losheulen. Musik kommt bei mir gleich nach Natur … auch dieses Thema löst immer ein lachendes und ein weinendes Auge bei mir aus. Vor allem bei solchen Geschichten, wie du sie hier erzählst.
Musik ist einfach hochemotional … sie kann durch Mark und Bein gehen … mich in gute Stimmung bringen oder zu Tränen rühren … Erinnerungen wecken … viele viele Erinnerungen. Dazu das grausame Spiel des Menschen, der so vielen Künstlern soviel Leid zugefügt hat. Ich kann es mir vorstellen, wie deinem Papa im Herzen war, das tut mir so leid.
Das Foto von euch beiden ist so schön, liebe Gudrun. Welch berührender Eintrag von dir …
Die alte Weisheit ist längst hinfällig. Auch Böse haben Lieder … und Dumme. Mit Musik hat das für mich allerdings nichts zu tun. Eben so, wie Menschen wahrnehmen.
Da höre ich lieber mal wieder diese schönen alten Songs und heul ein bisschen vor mich hin.
Das erinnert mich gerade an eine Sendung, die im Röhrenradio jeden Samstagabend lief. Mein Großvater hat sie sich nie entgehen lassen. „Man müsste nochmal 20 sein …“ … so hieß sie. Ich werde das nie vergessen.
Ich wünsch dir noch einen schönen Abend
Andrea
Ja, auch Böse haben Lieder, liebe Andrea. Aber daran kann man sie auch erkennen und sich seinen Vers drauf machen.
Nein, ich toleriere da nicht alles und wer mich kennt, der weiß das auch. Auch Militärmusik mag ich so gar nicht. Bei uns zu Hause allerdings wurde viel gesungen und das war gut so.
Die Sendung, die du erwähnst habe ich immer mit meiner Mutter gehört. Daher kenne ich auch viele alten Songs. Und mein Vater hat mir auch einiges zu hören gegeben. Mit der Frau vom Orchesterleiter musste er immer im Duett die Kabrifischer singen. Er mochte das Lied überhaupt nicht, aber wenn die Leute unten im Saal aufhörten zu tanzen und nur noch zuhörten, dann fand er es in Ordnung. Durch meinen Vater bin ich aber auch zu Brahms, Chopin, Prokofjew und anderen gekommen. Ich hatte halt Glück.
Liebe Grüße an dich, du Liebe
Ja, da hattest du wahrlich Glück, dass dich dein Papa so an die Musik herangeführt hat, liebe Gudrun.
Bei uns in der Familie wurde auch viel gesungen, sogar im Wald … „Denn im Wald, da sind die Räuber“ … hihi. Leider beherrschte niemand ein Instrument, mein Vater konnte aber super auf der Mundharmonika spielen. Immerhin.
Lustig, dass du die Capri-Fischer erwähnst. Ich machte doch mal eine Busreise dahin. Auf einem Boot spielten sie den Song auch. Mir war das so unangenehm, weil ich mir vorstellen konnte, wie oft sie ihn schon haben singen müssen. Nur für die Touris, die natürlich lautstark mitsangen. Schrecklich war das für mich.
Das nur so am Rande …
Hab einen schönen Tag! *umärmel*
Haha, da hättest du auf einer Wellenlänge gelegen mit meinem Vater.
Ich habe als Hortnerin viel gesungen, die Kinder nach dem Mittagsschlaf so geweckt. Auch jetzt bei meinem Enkel war Singen gut. Wir sprechen und hören verschiedene Sprachen, aber die Musik verbindet. Es gibt so schöne Lieder und ich habe Angst, dass die in Vergessenheit geraten.
Das Wiegenlied von Brahms hat mein Enkel sehr gemocht.
Mitzuerleben, welche Wirkung Musik auf Kinder hat, ist wunderbar. Mir war das auch oft vergönnt. Wenn sich die kleinen Wangen röteten und die Augen strahlten, weil die Melodie sofort ins Blut ging … hach, so schön.
Es gibt auch von mir einen 8-mm-Film, in dem ich mit kaum einem Jahr im Rythmus mitwippe. Daran hat sich nie was geändert. Ich liebe Musik … je nach Stimmung mal diese und mal jene …
Das würde ich mir gerne mal ansehen.
Liebe Andrea, ich habe noch einen Nachtrag: Von einen recht dummen Lied habe ich heute gerade gehört. Ich nenne es hier nicht, es reicht, wenn es am Ballermann gegrölt wird. Ich glaube, ignorieren ist in dem Fall in Ordnung.
Ja, liebe Gudrun, manchmal schafft es so ein sogenannter Song bis in unsere Ohren, aber meine schalten dann ganz schnell auf „taub“. Ich hab hier meine Lieblingssender, da setze ich mich dieser Gefahr sicher nicht aus … hihi.
Danke für den berührenden Einblick, liebe Gudrun.
Du hast das so wunderbar geschrieben. Dein Papa wäre stolz auf dich.
Ich schicke dir ganz liebe Grüße,
Martina ❤️
Danke, liebe Martina. Mit meinem Papa hatte ich immer ein super Verhältnis und ich habe ihm viel zu verdanken.
Herzliche Grüße an dich, liebe Martina.
Dein Beitrag ist besonders berührend. Wie gut, wenn eine Familie ihrem Nachwuchs so tragende Erinnerungen mit auf den Weg geben kann. Ich bin ohne Radio und Fernsehen aufgewachsen. Aber zu Weihnachten waren wir immer im Theater. Erst in der Schulzeit kam ich zum Singen, denn es war ab der vierten Klasse ein Ritual zum morgendliche Beginn vor dem Unterricht. Singen halte ich für sehr heilsam. Dass Lieder auch missbraucht werden können sei einfach mal dahingestellt
Ja, man kann Liedgut missbrauchen oder Lieder entstehen lassen, die in eine ganz spezielle Richtung manipulieren. Sich damit zu beschäftigen und Kinder schon zu sensibilisieren finde ich wichtig. Denken können sie dann selber. Das ist gut.
Ich habe mit meinem Vater oft am Radio gesessen. Sonntags stellte man immer eine Stunde lang klassische Musik vor. Mein Vater kannte die Komponisten und wusste viele Geschichten um sie. Ich fand das spannend. Bei mir hat er aber aufgepasst, dass ich Musik nicht zum Beruf mache.
Liebe Grüße an dich, liebe Isa.
Mir ist das Herz schwer, nachdem ich die Geschichte deines Vaters gelesen habe. Das soll niemandem widerfahren, seine guten und kreativen Träume aufgeben zu müssen!
Ich denke, Musik ist die Sprache des Universums. Denn genau genommen basiert sie ja auf der Mathematik, und diese ist allüberall im Weltraum zu finden.
Sei herzliche gegrüßt!
Ach, Martha, meinen Eltern habe ich versprochen, mich gegen Kriege einzusetzen und dafür, dass sich Kinder und Jugendliche frei entwickeln können nach ihrem Können und Talenten. Ich fühle mich sehr hilflos gerade, habe das Gefühl, dass es wieder abbaut und schlimmer wird. Ich weiß nicht, was ich persönlich tun kann. Manchmal empfinde ich das als gescheitert.
Ganz liebe Grüße an dich.