Die Geschichte der kleinen Elli (Name geändert) ging mir gerade jetzt wieder im Kopf herum. Warum weiß ich nicht genau. Vielleicht, weil ich mir wünsche, dass immer jemand da ist, wenn man das Gefühl hat, unlösbare und unüberwindbare Probleme vor sich her zu schieben. Jemand soll einfach da sein, zuhören und trösten. Das würde viel Schlaflosigkeit verhindern.
Meine Arbeit im Schulhort änderte sich nach der Wende stark. Hausaufgaben konnten gemacht werden, mussten aber nicht. Die Hortner kontrollierten nicht mehr auf Richtigkeit, mussten nicht mehr helfen. Ich fand das nicht gut, denn manche Eltern waren nach einem anstrengenden Tag dazu nicht mehr in der Lage. Die Kinder am Abend auch nicht. Manchen war das aber auch Wurst oder sie waren mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.
Zumindest für die erste Klasse hatten wir beschlossen, weiter Hausaufgaben mit den Kindern zu machen. Auch den Mittagsschlaf behielten wir bei.
Meine anvertrautenKinder schliefen jeden Tag tief und fest, natürlich nicht ohne eine Geschichte gehört oder vorgelesen bekommen zu haben. Schule und stille Sitzen waren halt anstrengend. Geweckt habe ich mit leiser Musik und ein bisschen Zeit. Dann war das Wachwerden nicht so heftig.
Elli schlief sonst immer, aber mir fiel auf, dass sie neuerdings auf ihrer Liege lag wie angewurzelt und an die Zimmerdecke schaute. Die ganze Woche ging das so.
Ich setzte mich dann an ihre Liege und fragte sie, was denn los sei. Mit traurigen Augen schaute sie mich an und flüsterte dann: „Der Papa ist ausgezogen. Und er hat unseren Teppich geklaut, sagt die Mama.“
Oh, daher also die Schlaflosigkeit. Elli musste mit der Trennung der Eltern fertig werden und mit dem Zorn der Mama obendrein.
Wir haben dann geredet, dass Kinder sich ja auch mal zanken. Oh ja, das kannte Elli. Naja und bei den Großen ist es eben auch manchmal so. Und dann ziehen sie auseinander, damit der Streit aufhört. Das, was sie haben, das teilen sie. Und er Papa hat den Teppich bekommen.
„Aber, warum sagt die Mama sowas?“
„Sie hat sich sicherlich sehr geärgert. Sieh es ihr nach, Elli, leicht hat sie es jetzt auch nicht“
Ich nahm Elli dann in den Arm und strich ihr über den Kopf.
„Weißt du was, Elli? Wenn du wieder ganz traurig bist, dann reden wir.“
Ich weiß nicht, ob Elli das noch hörte. Sie war eingeschlafen. Die Schlaflosigkeit war für sie vorbei.
Am Nachmittag fragte Elli, ob sie dem Papa ein Bild malen darf. Na klar durfte sie. Der Weg zum Spielplatz führte an seiner neuen Wohnung vorbei und Elli steckte ihm das Bild in den Briefkasten.
Einmal im Monat durfte der Papa Elli aus dem Hort abholen. Er kam auf mich zu, gab mir die Hand und sagte leise: „Danke.“ Nur dieses eine Wort. Ich nickte. Wir hatten uns verstanden.
Wenig später erreichte uns eine neue Verordnung. Wir sollten keinerlei Körperkontakt zu den Kindern haben. Das alles könnte als sexuelle Handlung ausgelegt werden. Was lief bloß schief? Für mich war es selbstverständlich, die Kinder zu trösten, wenn sie hin gefallen waren. Das größte Lob für mich war, wenn die Kinder mich an der Hand nahmen und aufgeregt sagten: „Mutti, Mutti, komm mal mit. Wir müssen dir was zeigen.“
Elli hatte keine Probleme mehr mit Schlaflosigkeit. Und ganz ehrlich, ich würde das immer wieder so machen. Kinder brauchen unsere Obhut, aber keine falsch verstandene.
Sehr schöne Geschichte aus dem Leben, liebe Gudrun.
Alles richtig gemacht.
Ich könnte auch manchmal eine Gudrun gebrauchen, die mir meine Schlaflosigkeit nimmt. 🙂
Traurig finde ich, wenn man Kinder nicht mehr richtig trösten darf. Körperkontakt ist dabei manchmal sehr wichtig, finde ich. Wir alle, ob Kind oder Erwachsener, brauchen es, mal umarmt zu werden.
Ich schicke dir ganz liebe Grüße,
Martina
Ach, liebe Martina, das ist mir auch nicht immer gut bekommen. Aber den Kindern war ich das schuldig und jetzt bleibe ich dabei. Es ist gut so und ja, eigentlich brauchen wir das alle Mal, in den Arm genommen zu werden.
Herzliche Grüße an dich.
Ach liebe Gudrun, ich habe jetzt geweint……..
Danke für diese Geschichte.
Mia
Ich wäre gerne bei den Kindern geblieben, liebe Mia. Es war anstrengend, aber auch schön, weil es wichtig war, was man tat.
Die Kinder von damals sind jetzt selber Eltern.
Jedes Kind, jeder Mensch braucht Körperkontakt zum Gedeihen. Was für eine dumme Regel. Du hast gutgetan und hast liebevoll getröstet – solche mitfühlende Menschen sollte es viel mehr geben!
Im nächsten Leben gehe ich diesen Beruf, diese Berufung, nochmal an. Jetzt ist es zu spät. Leider. Und du hast Recht: Es geht um Gedeihen.
Und Danke, piri.
Oh Gudrun, wenn ich nicht wüsste und es selbst erlebt hätte, wie es für Kinder ist, wenn die Eltern nicht mehr miteinander leben wollen oder können – da bricht für die Kinder sehr oft mehr als eine Welt zusammen. Wenn die Eltern noch dazu in der Lage sind, alles vernünftig zu regeln, auch das Umgangsrecht und das Aufenthaltsrecht beim ausgezogenen Partner, dann geht es ja.
Bei den vielen, vielen Kindern vom Großelterndienst waren natürlich viele getrennt lebende Mütter dabei – teilweise war die Wut auf den Ehemaligen so schlimm, dass darunter die Kinder gelitten haben. – Öfters gab es auch dieses Wechselmodell – in beiden Wohnungen gab es ein Kinderzimmer und die Kinder lebten wochenweise bei dem einen, dann bei dem anderen. Ob das das Non-plus-Ultra ist, weiß ich nicht – anfangs fand ich es gut, später eher weniger.
Kinder haben es oft nicht leicht im Leben.
Erwachsene aber auch nicht immer . Lieben Gruß zu dir
Ich kenne auch Trennungen, die anders und besser abliefen. Die Regel waren sie nicht. Und leider stehen Kinder oft zwischen allen emotionalen Ausbrüchen.
Großelterndienst, das kann helfen, denn es sind Außenstehende, Unbeteiligte, die für die Kinder da sind.
Es ist schon eine schwierige Situation, ja, auch für die Erwachsenen.
Ich möchte wirklich gerne Wissen, was aus meinen Kindern von damals geworden ist.
Liebe Grüße an dich, Clara.
Oh wie anrührend, liebe Gudrun. Sehr emphatisch und liebevoll hast du reagiert, das genau hat dieses Kind gebraucht und du hast ihm und gleichzeitig dem Papa damit geholfen.
Ich musste davon erzählen, liebe Beate. Manchmai ist es nicht schwer, Mitgefühl zu leben. Es kostet nichts und tut nicht weh.
Ich grüße dich herzlich.
Das ist eine sehr rührende Geschichte. Da kann man schon feuchte Augen beim lesen bekommen.
Du hast so lieb reagiert, das hätte nicht jeder gemacht. Genau richtig.
Deine Zeichnungen sind sehr schön geworden.
LG Marion
Es ist schon lange her, aber ich habe nichts von meiner Arbeit mit den Kinder vergessen. Es war eine gute Zeit.
Herzliche Grüße an dich, liebe Marion.
Danke fürs erzählen dieser wunderschönen wahren Geschichte und ich liege heute morgen schon im Bett und weine …
Ich wünsche Dir einen guten Tag – bleib gesund.
Gruß Christel
Liebe Christel, ich gebe mir alle Mühe, gesund zu bleiben. Im nächsten Jahr möchte ich endlich meinen Enkel besuchen, der am anderen Ende der Welt wohnt. Er wird schon vier Jahre alt und ich habe ihn noch nie gesehen. Der Flug ist schon gebucht.
Ich schicke dir ganz liebe Grüße und bleib auch du so gesund, wie es nur irgendwie geht.
So wunderbar erzählt bzw. erlebt hast du das, liebe Gudrun, dass mir die Tränen kamen.
Ja, leider hat sich in dieser Hinsicht sehr viel verändert. Erst neulich hatte ich mit meiner Tochter ein Gespräch zu dem Thema … der Vergleich meiner, ihrer Kinderheit und die von meinem jüngsten Enkel, der jetzt 3 Jahre alt ist und in den Kindergarten geht.
Ich hatte so liebevolle Erzieherinnen, dass ich noch immer Dankbarkeit spüre, wenn ich an sie denke …
Du bist auch eine von denen, das kann man spüren. Und die Bilder sagen es auch … so schön, diese Geborgenheit. Ach, ich wünschte sie jedem Kind.
Ganz liebe Grüße zu dir,
Andrea
Kinder sind so verletzlich. Klar gibt es Regeln, aber es kommt immer darauf an, wie sie erklärt werden. Manches regelte sich in meiner Gruppe dann fast alleine. Wenn ein Kind rief: „Torsten, du musst deine Mütze aufsetzen. Es ist kalt draußen.“, dann hatte ich Pause.
Im nächsten Leben werde ich wieder Lehrer, diesmal aber bei kleinen Kindern, nicht bei Erwachsenen.
Herzliche Grüße an dich.
Danke für die Geschichte. Ja, die Sache mit dem Körperkontakt. Das ist schon fatal, wie alles immer enger wird und kälter und alles nur, weil von wegen Sicherheit. Herz und Verstand bleiben da schon mal auf der Strecke. Alles Liebe
Damals ging kein solcher Virus um. Aber unter bestimmten Voraussetzungen ist auch das in den Arm nehmen wieder möglich. Die Hand halten, das würde ich aber auf alle Fälle machen. Man kann sich ja waschen.
Zum herzlosen Stießel aber muss man nicht werden, in dem Beruf schon gar nicht. Getroffen habe ich aber welche, damals und heute.
Liebe Grüße.
An die Virusbedingten Abstanshaltungen habe ich da gar nicht so sehr gedacht. Es ist eher eine allgemeine Beobachtung, dass wir immer vorsichtiger sein müssen, damit Berührungen und Umarmungen nicht falsch interpretiert werden.
Ja, das stimmt. Nun bin ich nicht die, die jedem gleich um den Hals fällt, aber wo es angebracht ist, tue ich das schon. Eigentlich.
Ach Gudrun …
?
Ich war da genau richtig, habe meine Arbeit gern gemacht und wäre gerne da geblieben. …
Ja! Das ach dafür, daß all das heute nicht mehr genehm ist …
Ja, das stimmt. Leider.
Ich bin gerade dabei zu überlegen, wie ich Krisen in meinem Leben immer verarbeiten oder lieber besser „ertragen“ konnte. Ich bekam damals an einem Freitag meine Kündigung, zusammen mit 600 anderen in dieser Stadt, ohne Sozialplan, ohne Abfindung. Das Schlimmste war, dass ich mich nicht von den Kindern verabschieden konnte. Trotzdem habe ich das überwunden, aber es war verdammt schwer.
Beim zweiten Einschlag hatte ich Glück. Ich traf die Schafe und die Hütehunde.
Heute habe ich das Gefühl, es nicht mehr so ohne Weiteres zu schaffen. Es ist nicht von mir abhängig und ich habe wenig Handlungsspielraum.
Nun gilt es wieder neue Ziele zu schaffen. Jaja, ganz bewusst. Ich brauche das für mich und ich bin noch am Suchen.
Eine schöne Geschichte, liebe -Gudrun, natürlich bis auf den Teil mit den Eltern, die sich getrennt haben. Aber wäre das nicht so gewesen, hätte Elli sicher schlafen können. Scheinbar hast Du dem kleinen Mädchen die richtige Erklärung gegeben. Und dass Kinder unsere Zuwendung brauchen, ist keine Frage, egal, ob es die eigenen sind oder Kinder, die man, wo auch immer, betreut. Es ist schlimm, wenn sie Probleme haben, die sie selbst nicht lösen können, weil sie sie einfach nicht verstehen. Da ist Hilfe angesagt. Ich finde, dazu gehört auch, dass man sie mal in den Arm nimmt und lieb drückt. Das ist oft tröstender als jedes Wort.
Das Bild mit Deinen Kindern und der Katze finde ich ganz wunderschön Das drückt so viel Liebe und Geborgenheit aus. Einfach nur schön
Einen lieben Gruß von der Silberdistel
Naja, ich weiß nicht, wie es bei Elli zu Hause war. Auf alle Fälle hat sie ihren Vati nicht verloren, auch wenn er nicht mehr bei ihr wohnte.
Da wo meine Kinder waren, war auch meist immer die Katze. Sie sollte nicht ins Bett, aber was wollten die Kinderchen machen, wenn sich die Katze einfach angeschlichen hatte? 😀
Ins Bette gehen ohne Geschichte, das ging bei uns nicht. Ich war manchmal hundemüde am Abend, aber das Schafen-Ritual musste sein. Manchmal hatte ich aber auch zu tun, jeden in sein Bett zu verfrachten.
Herzliche Grüße an dich, liebe Silberdistel.