Der Sandsack auf den Schultern

„Stell dir vor, dass alle Menschen ihr Leben in Frieden leben. Du wirst sagen ich bin ein Träumer, aber ich bin nicht der Einzige. Ich hoffe, dass du dich uns eines Tages anschließt und die Welt wird Eins sein.“ 
(John Lennon)

Ängste liegen wie ein Sandsack auf den Schultern

So komme ich mir manchmal vor, mit einem Sandsack auf den Schultern, der sich schwer trägt.
Da, wo Hitze und Trockenheit nicht den Wald anzünden, sorgen Menschen für Brände. Wo nicht Erdbeben Häuser zerstören, bomben Menschen sie weg.
Es ist an so vielen Stellen der Erde Krieg und er ist verdammt nahe gekommen. Krieg, das ist nicht einfach eine Computersimulation, es ist Hunger, Elend, Siechtum, Tod. Und jeder, der einen Krieg anzettelt, schickt Menschen genau dahin, in den Tod. Da ist nichts mehr rückgängig zu machen.

Ich bin meinem Vater heute noch dankbar, dass er über seine Erlebnisse im zweiten Weltkrieg gesprochen hat. Viele konnten das nicht, haben geschwiegen. Mein Vater wollte am Anfang, gerade 18 Jahre alt geworden, ein Held sein und es endete so wenig heldenhaft. Alles Menschliche fällt weg im Krieg. Es fiel ihm schwer, darüber zu reden, aber auf mich hat das, was er zu erzählen hatte, letztendlich mehr Eindruck gemacht als jedes Geschichtsbuch. Ich habe ihm versprochen, dass ich meine Kinder nicht für Kriege hergebe, für keinen Grund der Welt. Es gibt keine gerechten Kriege. Und es gibt an keinem Ort der Welt eine Rechtfertigung, Kinder, ihre Mütter und Väter, Schulen, Krankenhäuser und anderes weg zu bomben.

Ich werde nicht schweigen. Ich träume davon, dass aus Schwertern wirklich Pflugscharen werden. Und ich weiß, dass Kriege durch Machtstreben und Gier entstehen. Nein, es ist nicht ein Ausrutscher eines „Nieselpriems“, wie immer er auch heißen mag. Es stehen knallharte Interessen ganzer Gruppe dahinter, denen es völlig egal ist, was mit den einzelnen Menschen geschieht. Hauptsache, es klingelt in ihrem Säckel. Das meiste Geld lässt sich in der Rüstung verdienen und am besten, wenn das Zeuchs auch noch verballert wird. Um Investoren muss man sich da gerade nicht sorgen. (Das kann man nachlesen in Börsenberichten.) Ein Spielwarenhersteller in Eisleben, der Stahlmöbel für Schulen herstellt, schließt. Ja, klar, wer braucht denn so was?

Noch mehr Waffen verhindern keine Kriege. Man sieht es ja.
Im Moment habe ich den Eindruck, dass alles völlig ungehemmt aus dem Ruder läuft. Vor morgen graut es mir.Ich habe Angst.

Vor einigen Tagen habe ich ein unveröffentliches Lied von 1981 von „Zupfgeigenhansel“ gefunden. Bei öffentlichen Auftritten bei Friedensveranstaltungen haben sie es gesungen. Als ich es hörte, kamen mir die Tränen. Manchmal fühle ich mich so schrecklich hilflos.
Ich wünsche mir solche Veranstaltungen wieder, nicht nur in meinem Land. Und ich wünsche mir, dass wir wieder mehr miteinander reden, unaufgeregt und ehrlich. Und das wir uns achten und akzeptieren, auch wenn wir nicht immer 100 %ig einer Meinung sind.

Den Sandsack auf den Schultern würde ich so gerne wieder los werden.

Hier kann man sich das Lied von Zupfgeigenhansel anhören.

14 Gedanken zu „Der Sandsack auf den Schultern“

  1. So sehr wünsche ich dir, dass der Sandsack von deinen Schultern fällt. Es gibt auch heutzutage Friedensveranstaltungen – die sind nur ganz anders, als bei uns seinerzeit. Ich finde, dass Teile der Jugend sehr kritisch sind. Vielleicht radikal, aber das wäre ich jetzt bei dieser angespannten Lage auch.

    1. Ja, in Stuttgart habe ich eine Initiative gefunden. Vielleicht kann man sich etwas abkucken. Ich muss was tun. Ich tue mich gerade sehr schwer in der Zeit.
      Liebe piri, ich schicke dir Grüße.

  2. Liebe Gudrun,
    Deine Zeilen packen mich an! Mein Respekt für Deinen Vater.
    Manche sind an ihren Erinnerungen innerlich zerbrochen, nach Außen waren sie nicht mehr zugänglich, verschwiegen, herrschsüchtig, unangenehme Zeitgenossen. Traumatherapien gab’s damals kaum, nur fragwürdige Medikamente oder Drogen, zum Beispiel im Kampf gegen das Zittern, das viele Soldaten hatten, die vor allem im ersten Weltkrieg direkt Mann gegen Mann kämpften. Man nannte sie Kriegszitterer oder auch Kriegsschüttler.

    Deine Gedanken sind solche, die auch in mir kreisen. Immer wieder. Ich muss mich zurückhalten, heraushalten aus Printmedien, Online-Nachrichten und TV-News.
    Ich könnte nicht mehr lächeln, an nichts Gutes im Menschen mehr glauben.
    Ich habe mit vielen Kindern gearbeitet, die schwerst traumatisert waren und sind. Immer wieder habe ich erlebt, dass sie ihre Kriege in unserem Land nachgespielt haben, allerdings brutal und ernsthaft, unterstützt von ihren Eltern. Ich habe viel über solche Szenen berichtet. Ich musste es schreibend verarbeiten. Sechs-, Siebenjährige, Buben wie Mädchen, die aufeinander einschlagen, die am Boden Liegenden brutal am Kopf treten, die beißen, hasserfüllte Tiraden schreiend. Wie oft habe ich fühlen können, wie stark Kinder sein können, wenn sie so wütend sind. Manchmal habe ich selbst Schläge abbekommen. Nach vielen Jahren habe ich es nicht mehr ertragen können.
    Es ist enorm, was Neid, Gier, Macht und Ohnmacht mit uns machen.
    Es ist beklemmend, zu sehen, dass nicht nur Männer in den Krieg ziehen, sondern auch Frauen. Das betrübt mich noch ein Stückchen mehr. Mütter von Kindern, Schwestern, Tanten, Kinder von Müttern – ich kann es nicht glauben.
    Es gibt keinen gerechten Krieg. Genau so sehe ich es auch. Krieg bleibt Krieg, ob wir diesen nun Mensch gegen Mensch ausführen oder Mensch gegen Natur. Beides wird für uns böse enden.
    Ja, es gibt diese engagierten jungen Menschen, an manchen Tagen bin ich hoffnungsfroh und sehe viele von ihnen. Immer ist mir klar, dass wir Älteren und Alten ihre Vorbilder sind …
    Liebe Gudrun, ich wünsche Dir Hoffnung und Heilsames – wir können die Weltlage nicht besser machen, wenn es uns schlecht geht. Wir brauchen es, zu lächeln und uns mit Gutem zu umgeben.
    Ich schicke Dir ganz liebe Grüße!

    1. „Wir können die Weltlage nicht besser machen, wenn es uns schlecht geht.“ Wie Recht du hast! Liebe Conny, ich danke dir für deinen Beitrag. Und ja, ich werde wieder in meine Spur gehen. Nur manchmal, da geht es nicht. Da bin ich müde und brauche eine Pause.
      Ich hatte wirklich eine Zeit lang das Gefühl, dass alles besser wird, verständnisvoller, friedlicher. Das war offensichtlich ein Irrtum.
      Vorbilder. Ja, du hast Recht. Damals hat mein Vater geredet. Jetzt werde ich es tun müssen.
      Liebe Grüße nach Österreich.

  3. So einen Sandsack fühle ich zur Zeit auch, liebe Gudrun, eigentlich schon seit einer ganzen Weile. Und grade jetzt hat es den Eindruck, dass er schwerer und immer schwerer wird. Trotz der Reise-Erlebnisse, Ausflüge, Begegnungen mit freundlichen und verständnisvollen Menschen…
    Mein Vater hat nie viel von den Kriegszeiten und der Flucht erzählt, die er als Jugendlicher durchleben musste. Meine Mutter umso mehr. Jahrzehnte lang hat sie uns ihre Geschichten dreimal täglich während sämtlicher Mahlzeiten aufgetischt, immer und immer wieder. Mein Bruder und ich konnten das irgendwann einmal nicht mehr hören. Heute weiss ich, dass sie dadurch sicherlich ein schlimmes Trauma verarbeiten wollte. Und ich bin auch dankbar für ihre Erzählungen, denn sie haben bestimmt mit dazu beigetragen, dass ich nun ein ziemlich linksgrünversiffter Gutmensch bin…
    Ich habe kürzlich mal nach meinen leeren Koffern geschaut, einem Ausspruch Dr. Charlotte Knoblochs folgend, den sie vor gut einer Woche getätigt hat. Und mir schon mal überlegt, was ich mitnehmen werde, sollte ich hier die Zelte abbrechen. Wohin es gehen wird? Island – das habe ich mir auserkoren. Aber noch hoffe ich so sehr, dass es nicht so weit kommen wird. Und bis dahin werde ich auch auf gar keinem Fall still sein…
    Sei herzlich gegrüßt!

    1. Solche Überlegungen wie du mit den Koffern hatten wir auch schon. Ich bin nur gar nicht mehr gut zu Fuß und ein Elektrorolli nützt mir wenig. Also habe ich überlegt, wie ich mich hier einrichten muss. Ich fand es richtig niedlich, dass meine Tochter mir im Frühling Jodtabletten mitgegeben hat, als wir wieder nach Hause fuhren. Ich hoffe sehr, dass ich sie nicht brauchen werde, denn sie retten mich dann auch nicht.
      Ich weiß, dass es viele sind, die sich nach Frieden sehnen. Wir müssen uns nur finden.
      Ganz liebe Grüße zu dir.
      (Was dein Unterwegssein und deine Fotos für dich sind, sind bei mir Spinnrad, Webrahmen und Wolle. Manchmal hilft es ein wenig.)

  4. Liebe Gudrun,
    ich denke jetzt schon eine ganze Weile darüber nach, was ich dir schreiben kann. Zunächst mal ‚Danke‘ für den Link zum Lied, durch den ich auf der Seite der Friedensinitiative Stuttgart gelandet bin. Das Lied kannte ich übrigens noch nicht, es berührt mich sehr. Ich versuche, die Situation in der Welt nicht zu sehr an mich heran kommen zu lassen, denn dann würde ich in totaler Depression versinken, und das hilft auch niemandem weiter. Aber natürlich bedrückt es mich, wie könnte es anders sein. In unserer Jugend waren wir trotz des Kalten Krieges so voller Hoffnung. Irgendwie glaubte man daran, dass Frieden mehr als ein Traum sein könnte. Das ist jetzt mehr als vorbei. Was ist das für eine Welt, in der wenige machthungrige Despoten, uns so hilflos werden lassen? Jede(r) Einzelne von uns kann sich zum Frieden bekennen, aber kann das Putin oder die anderen Kriegstreiber stoppen?
    Nachdenkliche Grüße – Elke

    1. Liebe Elke, ja, damals im Kalten Krieg war ich voller Hoffnung, dass sich etwas ändert und wir in Frieden miteinander leben können. Ich hatte auch Angst, aber heute ist die Angst viel größer.
      Damals war ich in einem „Sanitätstrupp“. Ich habe keinen Ärger bekommen und es hat mir niemand widersprochen, wenn ich gesagt habe: „Wenn da einer liegt und Hilfe braucht, dann bekommt der die. Es ist mir Wurst, was der an hat und egal, welche Sprache der spricht.“ Heute finde ich meinen „Weg“ manchmal nicht.
      Ich danke dir sehr für deinen Kommentar und grüße dich herzlich.

  5. Liebe Gudrun, auch mich hat das Lied sehr berührt. Ich kannte es nicht.
    Meine Pflegeeltern, gleichzeitig Großonkel und Großtante, erzählten mir alles von ihrem Leben im Zweiten Weltkrieg in Berlin. Ich kenne meine Familiengeschichte.
    Ja, man wird sehr nachdenklich, wie sich die Kriegslage verschärft.
    Erschreckend der Antisemitismus, Völkerhass.
    Ich wünsche Dir, daß Dein Sandsack Deine Schultern nicht zu sehr runter zieht.
    Genieße wie ich die noch hoffentlich weiterhin friedliche Zeit und erlebe schöne Momente.
    Alles Gute, tschüssi Brigitte.

    1. Ich danke dir sehr für deine guten Wünsche, liebe Brigitte. Ich versuche, gut durch die Zeit zu kommen und nicht in Traurigkeit zu versinken. Im Gegenteil. Eigentlich habe ich von Natur aus ein sonniges Gemüt und kann immer etwas davon abgeben. Vorhin haben wir hier Reformationsbrötchen gebacken. Die Preise beim Bäcker können mich mal.
      In meinem Innenhof beobachte ich ein kleinesMädchen, einen Dreikäsehoch. Mit ihrem Nuckel im Mund heizt sie mit einem kleinen Elektro-Cabrio durch den Innenhof. Und wenn sie nicht genug sieht, dann stellt sich sich hin, hinter ihr Lenkrad. Automatisch muss man lächeln, wenn man sie sieht. Ihr und allen Kindern dieser Welt wünsche ich, dass sie in Frieden und Glück aufwachsen können.
      Herzliche Grüße an dich, liebe Brigitte.

  6. Ja dieser Sandsack, ich spüre ihn auch und die Angst, ja, auch die ist da. Doch ich mag mich nicht niederdrücken lassen vom Sandsack. Versuche Felder der Harmonie und des Ausgleichs zu schaffen. Sicher es gelingt nicht immer und es ist wenig … aber es ist das was ich tun kann und ich weiß, viele andere, auch du, tun es und eines Tages sind unsere Felder groß genug, wachsen zusammen und dann ist aus mit Krieg. Schwerter zu Pflugscharen, ein schönes Bild. Alles Liebe

    1. Das mit den Feldern gefällt mir. Das hast du gut geschrieben. Ich werde mir das merken.
      Es gab mal eine Zeit, da dachte ich, dass wir nahe dran waren an friedlicheren Zeiten. Jetzt weiß ich, dass die Maschinerie im Hintergrund weiter liefen. Das hat mir schon erstmal die Beine weggezogen. Jetzt wird es langsam wieder klarer und ich sehe meinen Weg wieder.
      Liebe Grüße zu dir in den Norden.

      1. Der Gedanke mit den Feldern schaffen, habe ich entlehnt von Rupert Sheldrake „Das schöpferische Universum“. Dort legt er seine Theorie der morphogenetischen Felder vor. Ist viel dran.
        Alles Liebe

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