Brief an meinen Vater

Hallo, Vati,
es ist schon ein komisches Ansinnen, dass ich dir schreibe, denn der Brief wird dich nicht erreichen können. Ich war noch eine junge Frau, als ihr beiden Eltern nicht mehr unter den Lebenden weiltet. Unsere gemeinsame Zeit war aber sehr intensiv, und wenn ich jetzt schreibe ist es so, als wärst du noch da.

Ich kann mich gut an unsere Gespräche erinnern, abends am Küchentisch. Oft hatten wir kein Licht an. Aus dem weit geöffnetem Fenster schauten wir in den Nachthimmel. Es war die Zeit des kalten Krieges und wir hatten auch manchmal Angst vor dem, was geflogen kommen könnte.

Über vieles haben wir gesprochen, auch über den Krieg, wie es dazu kommen konnte und wie ihr euch arrangieren musstet. Du hast ganz offen darüber gesprochen, wie wenig Heldenhaftes am Soldatenleben war. Und ich musste dir versprechen, dass meine Kinder für keinen Sold der Welt und auch nicht für noch so gut klingende Worte in Kriege ziehen.

Jetzt leben wir wieder in bewegten, unsicheren Zeiten, in der die Gier einiger Superreicher unermeßlich zu sein scheint und wo das Allgemeinwohl unwichtig zu werden droht. Ich bin nun inzwischen die „Stammesälteste“ in unserer unmittelbaren Familie. Von mir erwartet man aufgrund meines Wissens und meiner Erfahrung Antworten und einen Weg, der zu gehen ist. Manchmal fühle ich mich aber hilflos, muss mich erstmal immer sortieren. Du fehlst mir, aber die Gespräche damals helfen mir auch heute noch, den Kopf oben zu behalten.

Ich danke dir, dass ich eine schöne, unbeschwerte Kindheit und Jugend haben konnte. Alle Bildungschancen konnte ich wahr nehmen, ein Hochschulstudium bewältigen und als Frau selbstbestimmt in einem Beruf arbeiten, den ich mochte. Ich hatte einen sicheren Arbeitsplatz, auch nach Beendigung der Babypausen, und nie Existentzängste. Du hast es nicht mehr erlebt, aber da hat sich einiges grundlegend geändert und ich ärgere mich, dass ich zu wenig Widerspruch eingelegt habe.

Ich lege den Stift jetzt wieder weg und beende meinen Brief.
Corona haben wir überstanden. Der Test war endlich wieder negativ. Egal, was noch so auf uns zu kommt: Den Kopf in den Sand werde ich nie stecken. Du hast mich ganz gut auf das Leben vorbereitet. Ob wir uns mal wieder sehen werden und wie lange das noch dauert, weiß keiner. Ich jedenfalls bin froh, dass du mein Vater gewesen bist, denn du hilfst mir immer noch sehr.

Lange ist es her und unvergessen und heute schreibe ich dir einen Brief.

Die Alten und die Jungen

In dem Dörfchen, in dem ich mal eine Zeit lang und während meiner Stadtflucht lebte, konnte ich eine prägende Beobachtung machen. Es war eine, die mir den guten Umgang zwischen Alten und Jungen zeigte. Ich will davon erzählen.

das kleine Feld für den Alten mit der Hacke
das kleine Feld für den Alten mit der Hacke

Hinter einem Gehöft gab es ein kleines Stück umgeackerten Boden. Auf der einen Seite der Furchen stand ein alter Holzstuhl; ein zweiter befand sich auf der gegenüberliegenden Seite. Ich sah das, wunderte mich und vergaß das Bild wieder, bis ich eines Tages erleben lonnte, wozu die beiden Stühle am Acker da waren.

Auf einem Teil des kleinen Ackelandes wuchsen wunderschöne Sommerblumen. Auf dem anderen Teil zeigten sich inzwischen auch kleine Pflänzchen. Und in der Furche stand ein alter Mann. Er lief nicht mehr gut, musste aufpassen, wo er hintrat, aber mit einer Hacke entfernte er allen Wildwuchs zwischen seinen Pflänzchen. War er am Ende der Furche angekommen, setzte er sich auf einen der Stühle und ruhte sich aus.

ausruhen im Herbst des Lebens
öfter mal ausruhen im Herbst des Lebens

Er saß da, die Hacke zwischen den Beinen und das Kinn auf den Händen, die die Hacke hielten. So hing er seinen Gedanken nach. Manchmal kam jemand vorbei auf ein Schwätzchen.

Zuerst dachte ich: „Der arme alte Mann!“, aber dann merkte ich, dass er sehr zufrieden war mit dem, was er tat. Er machte das, was er sein ganzes Leben schon tat, nämlich ein Feld bestellen. Gut, früher war das Feld größer und hatte keine Stühle am Rand. Aber noch immer konnte er seiner Arbeit nachgehen und die Jungen auf dem Hof der ihren. Die Jungen und die Alten kamen sich nicht in die Quere.
Jedes Jahr bereitete der Jungbauer ein Stücke Land vor für den Alten mit der Hacke.

schade, dass die Stühle des Alten nicht zu sehen waren
schade, dass die Stühle nicht zu sehen waren

Warum fiel mir das gerade jetzt ein?
Ich hatte vor Tagen ein Gespräch mit einem jungen Mann, der sich beklagte, dass die Alten viel mehr sind, hohe Kosten verursachen und bei Wahlen ja wohl immer gewinnen. Auch könnten sie nicht loslassen und meinten, bis in alle Ewigkeit alles bestimmen zu müssen.

„Wenn ich mich entscheiden könnte “, sagt der junge Mann, „würde ich mich in allen Belangen für meine Generation entscheiden.“ Alte Männer, die mit 80 Jahren noch meinen, über die Geschicke der Menschheit entscheiden zu müssen, regen mich auch auf. Die Worte des jungen Mannes aber taten mir dennoch weh. Eine ganze Menge Fragen geisterten mir durch den Kopf. Ich weiß noch nicht, ob ich sie irgendwann stellen werde.

Hoffnung
Hoffnung

Gut, dass ich mich an die Leute auf dem Hof und den den alten Mann mit der Hacke erinnerte, wie er zufrieden auf seinem Stuhl am Ende der Furche saß.
Es war ein Bild, was Hoffnug ausstrahlte. Ich will es mir bewahren.

Kein gewöhnlicher Tag oder was wäre wenn?

Es hatte einer sein können, ein gewöhnlicher Tag. Er ist es aber nicht, ganau wie die Tage davor. Ich kann meine Ruhe nicht mehr finden.
Die Abende sind wieder länger und ich habe meine Wollkiste aufgemacht. Solche Arbeiten zu Hause haben mir immer geholfen, mich zu beruhigen und klarer zu denken. Nein, diesmal klappte das nur bedingt.

die Spule ist voll
Wolle vom Gotland-Pelzschaf – die Spule ist voll

Ich kann mich noch erinnern, wie es war als junge Mutter, als mein erstes Kindchen zum ersten Mal krank wurde. Es hatte Fieber, glühte förmlich. Voller Panik packte ich es in den Kinderwagen und rannte im Dauerlauf durch den Leipziger Osten in die Kinderklinik der Uni. Ich glaube, ich kam in einem erbarmungswürdigen Zustand da an. Meinem Kindchen wurde sofort geholfen und mir damit natürlich auch.

Wie wäre es aber gewesen, wenn man mir gesagt hätte, dass man meinem Kind nicht helfen kann, weil es keine Medikamente gibt?

Wollarbeiten. Es ist kein gewöhnlicher Tag mehr
Die weiße Wolle hab ich geschenkt bekommen, gesponnen und verzwirne die beiden jetzt.

Wenn eines meiner Kinder mal keinen Appetit hatte, begann ich mir Sorgen zu machen. Was aber, wenn sie vor Hunger geweint und geschrien hätten, weil ich ihnen nichts hätte geben können? Was wäre, wenn ich nicht mal Wasser gehabt hätte für den größten Durst und um sie zu säubern?

Weiches selbstgesponnenes Garn. Ich werde mit Weben anfangen.

Vor einigen Tagen gab es in Afghanistan wieder ein schweres Erdbeben. Mehr als 90 Prozent der Todesopfer waren Frauen und Kinder, wie das UN-Kinderhilfswerk UNICEF mitteilte. Nach UN-Angaben waren insgesamt mehr als 12.000 Menschen von den Beben betroffen. Nehmen wir das bei aller Kriegsberichterstattung überhaupt noch zur Kenntnis? Und hätten wir nicht dort genug zu tun, um auch den Menschen zu helfen? Ein Stücke weiter wird eine ganze Region zusammengebombt.

Versteht mich bitte richtig: Jeder hat das Recht, sich zu verteidigen, aber keiner hat das Recht, unschuldige Menschen zu töten. Und es soll mir bloß keiner kommen mit den Sprüchen, dass man die Zivilbevölkerung verschonen will. Für dieses Ansinnen ist es in jedem Krieg zu spät.

Diese Tätigkeit sprach bisher immer für einen ganz gewöhnlichen Tag.
Diese Tätigkeit sprach bisher immer für einen ganz gewöhnlichen Tag.

Meine Gefühle im Moment kann ich kaum beschreiben. Ich bin traurig, weine. Und manchmal verliere ich den Glauben an das Gute.
Und dann wieder rede ich mit meinen Nachbarn, mache das Körbchen vom Gastkater winterfest, erzähle Geschichten und höre zu, verschenke Kräuter, … Die kleine Welt, um mich herum, möchte ich bewahren.

Aber ganz ehrlich: Ein ganz gewöhnlicher Tag wird es einfach nicht.

Nachtrag:

Ich habe drei Kommentare von einem Menschen gerade gelöscht. Wir sind viele Menschen auf der Erde und so gibt s auch viele Meinungen. Manche kann ich mir nicht annehmen. Dann ist es eben so. Man kann sich trotzdem respektieren, denn es gibt ja noch viele andere Dinge, die man durchaus gemeinsam hat.
Beschimpfen und beleidigen lasse ich mich aber nicht. Und schon gar nicht, wenn ich gegen Gewalt, Waffen und Kriege bin, sondern für Frieden, Abrüstung und Diplomatie.

Der Sandsack auf den Schultern

„Stell dir vor, dass alle Menschen ihr Leben in Frieden leben. Du wirst sagen ich bin ein Träumer, aber ich bin nicht der Einzige. Ich hoffe, dass du dich uns eines Tages anschließt und die Welt wird Eins sein.“ 
(John Lennon)

So komme ich mir manchmal vor, mit einem Sandsack auf den Schultern, der sich schwer trägt.
Da, wo Hitze und Trockenheit nicht den Wald anzünden, sorgen Menschen für Brände. Wo nicht Erdbeben Häuser zerstören, bomben Menschen sie weg.
Es ist an so vielen Stellen der Erde Krieg und er ist verdammt nahe gekommen. Krieg, das ist nicht einfach eine Computersimulation, es ist Hunger, Elend, Siechtum, Tod. Und jeder, der einen Krieg anzettelt, schickt Menschen genau dahin, in den Tod. Da ist nichts mehr rückgängig zu machen.

Ich bin meinem Vater heute noch dankbar, dass er über seine Erlebnisse im zweiten Weltkrieg gesprochen hat. Viele konnten das nicht, haben geschwiegen. Mein Vater wollte am Anfang, gerade 18 Jahre alt geworden, ein Held sein und es endete so wenig heldenhaft. Alles Menschliche fällt weg im Krieg. Es fiel ihm schwer, darüber zu reden, aber auf mich hat das, was er zu erzählen hatte, letztendlich mehr Eindruck gemacht als jedes Geschichtsbuch. Ich habe ihm versprochen, dass ich meine Kinder nicht für Kriege hergebe, für keinen Grund der Welt. Es gibt keine gerechten Kriege. Und es gibt an keinem Ort der Welt eine Rechtfertigung, Kinder, ihre Mütter und Väter, Schulen, Krankenhäuser und anderes weg zu bomben.

Ich werde nicht schweigen. Ich träume davon, dass aus Schwertern wirklich Pflugscharen werden. Und ich weiß, dass Kriege durch Machtstreben und Gier entstehen. Nein, es ist nicht ein Ausrutscher eines „Nieselpriems“, wie immer er auch heißen mag. Es stehen knallharte Interessen ganzer Gruppe dahinter, denen es völlig egal ist, was mit den einzelnen Menschen geschieht. Hauptsache, es klingelt in ihrem Säckel. Das meiste Geld lässt sich in der Rüstung verdienen und am besten, wenn das Zeuchs auch noch verballert wird. Um Investoren muss man sich da gerade nicht sorgen. (Das kann man nachlesen in Börsenberichten.) Ein Spielwarenhersteller in Eisleben, der Stahlmöbel für Schulen herstellt, schließt. Ja, klar, wer braucht denn so was?

Noch mehr Waffen verhindern keine Kriege. Man sieht es ja.
Im Moment habe ich den Eindruck, dass alles völlig ungehemmt aus dem Ruder läuft. Vor morgen graut es mir.Ich habe Angst.

Vor einigen Tagen habe ich ein unveröffentliches Lied von 1981 von „Zupfgeigenhansel“ gefunden. Bei öffentlichen Auftritten bei Friedensveranstaltungen haben sie es gesungen. Als ich es hörte, kamen mir die Tränen. Manchmal fühle ich mich so schrecklich hilflos.
Ich wünsche mir solche Veranstaltungen wieder, nicht nur in meinem Land. Und ich wünsche mir, dass wir wieder mehr miteinander reden, unaufgeregt und ehrlich. Und das wir uns achten und akzeptieren, auch wenn wir nicht immer 100 %ig einer Meinung sind.

Den Sandsack auf den Schultern würde ich so gerne wieder los werden.

Hier kann man sich das Lied von Zupfgeigenhansel anhören.

Viel ist gerade in Bewegung und Veränderung, nicht nur bei mir.

Zu tun habe ich genug. Ich stricke, lese, beschäftige mich mit Themen, die mich schon lange umtreiben. Und doch ist mir machmal unwohl. Ich habe Bauchgrimmen.

Gerade habe ich mit meiner großen Tochter gesprochen. Wir machen das immer, bevor sie mit ihrer Arbeit beginnt. Bei ihr ist Morgen, bei uns früher Abend.
Sie hat mich beruhigt und ich hoffe sehr, dass wieder Vernunft und vor allem Anstand ins Weiße Haus einzieht. Normalerweise sage ich immer, dass es Sache der Leute in einem Land ist, wen sie zu ihren Präsidenten wählen. Irgendwie hänge ich aber mit drin, denn dieser Mensch entscheidet viel zum Wohl und Wehe der Welt und so kann ich nur hoffen, dass es Veränderung und Ruhe gibt.

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