Wer viel fragt …

Wer viel fragt, geht viel fehl.“, sagte mein Vater immer mit einem Augenzwinkern. Wenn man aber gefragt hat, muss man sich die Antwort aber auch anhören (und ertragen).

Ach ja, so ging es mir heute. Ich möchte auf meine Reise Geschenke mitnehmen, Dinge aus Schafwolle. Nicht nur, weil ich den Rohstoff Wolle so toll finde, sondern auch, weil es in Kalifornien noch Menschen gibt, die alte Traditionen der Textilherstellung noch pflegen und sie ausüben. Sie kardieren Wolle, spinnen mit der Navajo-Spindel und weben Teppiche. (zu ihnen komme ich gleich)
Ich habe noch grau gesprenkelte Gotlandwolle und fragte, ob das als Farbe für meinen Schwiegersohn in Ordnung wäre. Er liebt aber Erdfarben, wurde mir gesagt, und Rohwolle von Beige bis Schwarzbraun hatte ich leider keine. Also hab ich erstmal bei meinem Lieblingswollhändler welche geordert.

Mit alten Handarbeitstechniken beschäftige ich mich ja auch. Mal sehen, ob ich damit wieder mehr in die Öffentlichkeit kann, wenn es die Lage zulässt.
In Südkalifornien leben Indianerfamilien, die ihr Handwerk ausüben. Clara Sherman (Achtung, Link führt zu YouTube) war eine von ihnen. Leider ist sie 2010 in einem gesegtneten Alter verstorben. Aber ihr Handwerk hat sie an nächste Generationen weiter gegeben. Auszeichnungen von höchster Staatsebene hat sie bekommen und das finde ich gut und richtig so. Die Videos über diese Frau habe ich mir immer gerne angesehen und die Ruhe bewundert, mit der sie unermüdlich ihr Handwerk ausübt.

Clara Sherman lebte im Bundesstaat New Mexico. Das ist ein bisschen weit weg von LA. Aber in der Nähe gibt es auch solche Menschen. Und die möchte ich besuchen. Und vielleicht kann ich mich mal mit dazu setzen.

Wer viel fragt, oder viel zeigt, bekommt manchmal Antworten, die unschön sind. Nein, nicht von vielen, aber von einigen eben schon. Ewig gestrig sei das, was ich tue, altertümlich, Neuheidentum, nahe an der Blut-und-Boden-Theorie … Geht es noch? Ich glaube, da kann ich ruhig die Ohren zuklappen. Ich weiß selber, was ich tue und was ich erzähle. Und mit all dem oben Erwähnten hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. Wohl aber mit singen, Märchen und Geschichten erzählen, so ganz nebenher.

Fotos: Gerd Eiltzer

Als ich mir heute nochmal das kleine Video über die Clara Sherman angesehen habe, musste ich lachen. Mir fiel auf, dass die Clara und ich die gleiche Frisur haben. Mein Rheumaschub ist noch nicht ganz vorbei. Mir tut immer noch der Nacken weh und ich habe „Haarwurzelkatharr“. Haare hochstecken geht gar nicht; ich kann sie nur locker zusammennehmen. Ich frag jetzt nicht, wie das aussieht, denn, wer viel fragt, … Ach, ihr wisst schon. 🙂

Angst

zeichnen gegen die Angst
zeichnen gegen die Angst

Mein Doc meinte letztens, dass es mir besser gehen wird, wenn Frühling ist. Hoffentlich, denn mich belastet gerade so einiges, auf das ich keinen Einfluss zu haben scheine. Ich fühle mich verdammt hilflos.
Meine Freundin rief mich vorhin an und erzählte mir, dass sie nachts wach wird und nicht wieder schlafen kann. Sie hat Angst vor einem Krieg. Das wundert mich nicht. Ich verkneife es mir schon, Nachrichten zu lesen. Wenn ich dann solche Überschriften zig mal am Tage lese wie: „Wird es Krieg geben in Europa?“ und Putin macht das und Putin macht jenes, dann frage ich mich, auf was man einschwören will. Man muss es nur lange genug erzählen, dann werden manche Hintergründe ganz klein, fast unsichtbar.

Die Freundin habe ich beruhigt. Dabei habe ich selber Angst.
Ich möchte in den Nachrichten viel mehr von denen lesen, die sich auf diplomatischem Parkett unermüdlich um Lösungen bemühen. Es gibt sie, aber sie scheinen gerade nicht so im Fokus zu stehen. Ich wünsche ihnen Durchhaltevermögen und viel Mut. Waffenexport und der Einsatz von Waffen bringen viel „Kohle“ und steigern das Bruttosozialprodukt. Pervers eigentlich, oder?

In meinem Ökonomiestudium wurde immer die These vertreten, dass wer miteinander handelt, sich nicht die Köppe einschlägt. Davon scheinen wir ein Stücke weit weg zu sein. Und nein, ich meine keinen Waffenhandel. Abschreckung, Aufrüstung, Waffenexporte und auch -einsatz, man sollte sich fragen, wem das am Ende wiedermal nützt.

Meine Eltern haben mir vom Krieg erzählt. Meine Mutter aus der Sicht einer jungen Mutter, die sich alleine um ihr Kind kümmern musste. Unsere Gegend wurde sehr stark bombardiert. Meine Mutter erzählte vom Hunger, von zerbombten Häusern und dass sie und mein Bruder in Sachen geschlafen haben. Wenn die Sirene erklang, klammerte sich mein damals kleiner Bruder am Bauch meiner Mutter fest, denn auf dem Rücken hatte sie einen Rucksack mit dem Nötigsten. Später, wenn mittwochs die Funktionsprobe der Sirene im Ort oder wenn ein Flugzeug zu hören war, fing meine Mutter an zu zittern.
Mein Vater erzählte davon, wie der Krieg als Soldat ist. Nein, da war nichts Heldenhaftes. Krieg ist eine Zeit, in der alles Menschliche stirbt.
Ist das, was schon mal war, in Vergessenheit geraten?

Und da habe ich nun so ein Bild da oben eingefügt, was so gar nicht zu meinen Gedanken passen zu scheint. Doch, irgendwie passt das schon, denn ich bin immer noch damit beschäftigt mit der Frage, wie ich leben will. Auf einem Hof bestimmt nicht mehr, aber einen malen kann ich mir ja mal. Malen gegen die Angst hat nicht funktioniert, aber darüber nachdenken, was ich an kleinen Zielen haben kann auch und auch darüber, was ich auf keinen Fall haben möchte, konnte ich dann doch:
Nie wieder Krieg! Nie und nirgendwo.

Nachtrag:
Es gibt schönere und angenehmere Themen, aber ich musste mir heute etwas von meiner Angst von der Seele schreiben. Den Mund halten will ich nicht. Das hatte ich vor Jahren meinen Eltern versprochen.

Den Held spielen ohne einer zu sein.

Dieser Tage hatte ich einen mächtigen Rheumaschub wie schon seit Jahren nicht mehr. Wenn die Wirbelsäule betroffen ist, wird es immer ungemütlich.
Ich kann nie sagen, wann es zuschlägt und auch nicht warum. Wie ein Pulverfass ist das. Und dann wollte ich unbedingt den Held spielen.

„Ich steh das durch!“ „Nur stark sein muss ich. Das erzwinge ich!“
Medikamente wollte ich nicht nehmen. Mit eisernen Willen geht es auch ohne, dachte ich. Und dann hing ich in den Seilen und gar nix ging mehr.

Ich las dann bei der Rheuma-Liga, dass man nicht den Held spielen soll. Sogar reine Schmerzmittel sind besser als gar nix. Von einer verqueren Schonhaltung wird nämlich alles noch viel schlimmer.

Warum ich den Held spielen wollte, weiß ich nicht mehr. So schnell passiert mir das auch nicht wieder. Es ist, wie es ist und ignorieren bringt gar keine Punkte.
„Es“ wird mich auch mal wieder loslassen. Und ich werde auch einiges loslassen müssen. Auf Hochzeiten, wo man mich gar nicht haben will, muss ich auch nicht tanzen wollen.

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Nachtrag: Nach einer Nacht in der Notaufnahme gönn ich mir jetzt doch mal eine Pause. Nein Covid habe ich nicht, aber einen Blutdruck jenseits von Gut und Böse, schmerzindiziert. Der brauchte mehrere Kanonenschläge, bis er sich etwas einholte. Irgendetwas war einfach zu viel.

Das Jahr 2022 begann gut und so soll es bleiben.

Der erste Tag im neuen Jahr begann bei mir meist mit dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. So auch 2022.
Als Kind saß ich mit meinem Vater vor dem Radio. Er erklärte mir einige Passagen der Musikstücke, worauf ich doch mal gleich achten solle. Und er erzählte mir nebenher Geschichten über die Komponisten, wie zum Beispiel die, dass Johann Strauss Vater dem Sohn die Geige zerschlug, weil er nicht wollte, dass sein Sohn sich mit Musik ins Unglück stürzte. Der Freund der Familie, Joseph Lanner, schenkte dem Junior allerdings eine Neue und unterrichtete ihn heimlich. Zum Glück!

Jetzt habe ich das Neujahrskonzert 2022 im Fernsehen gesehen, sowohl die schönen Bilder genossen, als auch gesehen wie Daniel Barenboim und die Musiker das pandemiebedingte wenige Puplikum mitnahm. Und mich natürlich auch.
„Leichte Muse“ – das hört man manchmal mit einem leicht abfälligem Tonfall. Ich habe in die Gesichter der Musiker geschaut, wie konzentriert sie waren. Nein, leicht spielt sich das alles gar nicht, wiewohl Tempo und Intensität ständig wechseln.

Mitten im Konzert fiel mir dann ein, dass wir noch Sekt hatten. Und währenddessen sich manche ins Ballkleid werfen, lassen wir eben mal den Korken knallen. Der Sekt heute schmeckte zumal viel besser als der Pflichtsekt um Mitternacht. Die Ruhe, mit der der erste Tag 2022 begann, will ich mir bewahren über das Jahr. Aber das hatte ich mir ja eh‘ schon vorgenommen.

Die Wiener Philharmoniker geben das Neujahrskonzert jedes Jahr und ich kann es mir indes anhören. „Aber umso wichtiger ist es heute“, sagt Daniel Barenboim, der diesmal dirigierte. Die Coronapandemie sei eine „menschliche Katastrophe, die versucht, uns auseinander zu drängen“. Am Orchester, das im gemeinsamen Musizieren eins wird im Denken und Fühlen, solle sich jeder ein Beispiel nehmen. „Es ist für mich eine riesige Inspiration, heute hier zu sein. Nehmen wir dieses Beispiel von Menschlichkeit und Einigkeit mit in unseren Alltag.“
Ja, das nehme ich mir mit, auch für ganz andere Situationen. Nein, mit Friede, Freude, Eierkuchen hat das nichts zu tun, nur mit respektvollem Umgang miteinander auf der einen Seite und mit Konsequenz auf der anderen.

Wie auch immer der Weg aussieht: Ein gutes Jahr 2022 wünsche ich uns allen von ganzem Herzen. Dann woll’n wir mal, jeder für sich und auf seine Weise und doch respektiert und vor allem gemeinsam.

"Der Weg" - Start in 2022
Auf geht es!

Abschied ist ein schweres Wort.

Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.
(Albert Schweizer)

Meine Tochter ist schon wieder auf der Rückfahrt zur Nordsee. Ich freue mich immer wochenlang auf Weihnachten, weil ich dann meine Kinder mal wieder da habe, zumindest die, die im Lande leben. Aber dann ist die Zeit rum und ich muss Abschied nehmen.

er bleibt noch, nimmt noch nicht Abschied

Früher habe ich meine Tochter am 1. Feiertag immer auf den Bahnhof gebracht. Auf meiner Rückfahrt mit der „Leipzscher Bimmel“ konnte ich mir die Tränen dann nicht verkneifen. Manch einer wird gedacht haben: „Die arme Frau. Es ist Weihnachten. Wer weiß, was ihr passiert ist?“

Nix. Ich hatte so schöne Tage, mit ganz viel Wärme, Gemütlichkeit, Lachen, Beisammensein mit meinen Kindern. Aber, das erste Kind reist schon wieder ab und mir ist, als ob sich ein stählernes, kaltes Band ums Herz legt.

„Ach, Mutti, ich bin doch noch da“, sagt der Jan und umarmt mich. Stimmt. Wir werden noch einige Tage zusammen verbringen können, lachen, erzählen, zusammen kochen. Weihnachten ist für mich immer ein Fest der Familie. Wenn nur der Abschied nicht wäre.

Ein Geschenk zum Abschied

Zum Abschied hat mir meine Tochter ihren Beutel dagelassen. Er gefiel mir so gut und nun wird er mein Begleiter sein und mich an sie erinnern.

Wir werden jetzt gleich gemütlich Kaffee trinken und an die Tochter denken, dass sie wieder gut im Norden ankommt. Es hat geschneit heute bei uns und es ist grimmig kalt.

Meine Kinder hatten sich getestet, bevor sie zu mir kamen und auch Herr E. und ich haben das gemacht. Wir wollen auf keinen Fall jemand gefährden. Die Schwiegermutter meiner Tochter leitet ein Altenheim. Auch da ist Vorsicht geboten. Also hat sich die Tochter gleich noch mal vor der Abfahrt in den Norden getestet. Es ist eine kleine Mühe. Ich verstehe die ganze Aufregung drumherum überhaupt nicht.

Wieder war alles gut. Mein größter Wunsch ist, dass es auch so bleibt jetzt und auch in Zukunft: Wir wollen uns wieder treffen im nächsten Jahr.

Wenn es ruhiger und auch still wird.

In den Herzen ist’s warm,
still schweigt Kummer und Harm, …

Es wird ruhiger werden hier, wie eigentlich immer zum Jahresende. In diesem Jahr ist es aber noch ein bisschen anders.

wenn es ruhiger wird am Jahresende

Ich sehne mich nach Ruhe und werde mir die gönnen, jetzt erstmal im ganz kleinen Familienkreis, mit meinen Kindern.
Ich wünsche allen ein schönes Fest, wie immer ihr es begeht. Für manche ist es Weihnachten in christlicher Tradition. Andere sehen das beginnende neue Jahr erwachen. Und für wieder andere ist es eine schöne gemeinsame Zeit in der Familie. Alles ist gut und richtig.

Mein erstes Kind ist schon angereist und wir haben bis zum Morgen geschwatzt. Zwei Jahre hatten wir uns nicht gesehen. Herr E. und ich hatten uns trotz Dreifachimpfung getestet, denn auch wir wollen nichts weiter verbreiten, was nicht sein soll. Auch unsere Kinder tun alles, um uns nicht zu gefährden und so hoffen wir, dass wir eine gute Zeit haben werden, jetzt und dann auch im neuen Jahr.

Brot werden wir zusammen backen und uns erinnern. Wie zum Beispiel an das alte Lied „Oh Tannebaum…“, welches bei dem ganz kleinen Jan annodunnemals großen Eindruck hinterlassen haben muss. Als wir irgendwann im Sommer an einem Nadelbaum vorbei kamen, rief mein Sohn plötzlich; „Ohhhhh, kuckt mal, ein Otannebaum“.
Oder die Geschichte mit dem Weihnachtsmann. Jan hatte immer reichlich Phantasie. Am Weihnachtsabend schaute er durch das Schlüsselloch im Kinderzimmer und erzählte seiner Schwester, dass er den Weihnachtsmann gesehen hätte, mit einem grünen Rucksack. Oh, gab das Tränen! Meine Tochter weinte, weil immer der Jan so etwas sah, nie sie. Es hat ein Weilchen gedauert, sie zu trösten.

So, genug geschwatzt. Ich verabschiede mich.

Besinnliche Momente wünsche ich allen, jetzt am Jahresende, wo es ruhiger wird. Liebe, Geborgenheit und ein wärmendes Stübchen wünsche ich mir für jeden und die Gewissheit, dass auch Eiszeiten einmal vorbei gehen.

Robber. Mein Teddy, der alle Geheim- und Kümmernisse kannte.

Ich habe mir selbst ein Geschenk gemacht.

Martina von der Buchstabenwiese öffnet jeden Tag ein Fensterchen in ihrem Adventskallender. Und immer weckt sie Kindheitserinnerungen, schöne Momente voller Ruhe und Hoffnung.
Und ich erzähle heute von meinem Teddy Robber.

Robber - mein Teddy

Ohne den Robber ging ich nirgendwohin, das heißt, da wo ich war, war der Teddy auch. Ihm erzählte ich abends im Bett alle Geheimnisse und es kam auch vor, dass ich ihm ins Fell geweint habe. Er hat mich dann getröstet und ruhig einschlafen lassen.

Der Teddy musste natürlich einen Namen bekommen. „Teddy“ reichte mir nicht, aber ein Name fiel mir nicht ein. Mein Vater setzte sich dann zu mir und wir überlegten gemeinsam. Er erzählte mir die Geschichte eines Wolfes namens Robber, der bei Menschen aufwuchs, im Dorf nicht gern gesehen war und seinem Lieblings-Menschen das Leben rettete und seines dabei verlor.

Viel später bekam ich das Jugendbuch mit dem Namen „Robber“ von meinem Vater geschenkt, las die Geschichte des Wolfes selber und vergoss auch die eine oder andere Träne.
Die Geschichte vom Wolf Robber schrieb Wolf Durian (eigentlich Wolfgang Walter Bechtle), ein bekannter Jugendbuchautor der DDR. Sie gefiel mir und der Name des Wolfes war auch der Name meines Teddys, der mich treu durch meine Kindheit begleitete.

Dieser Tage erfüllte ich mir einen Wunsch und kaufte mir das Buch über ZVAB. Es wird mir nicht wieder abhanden kommen und wer weiß, vielleicht erzähle ich die Geschichte vom Wolf Robber, wenn ich mal wieder mit Spinnrad und Wollkorb unterwegs sein kann. Vielleicht erzähle ich die Geschichte aber auch ganz anders, so wie mein Vater zuerst, denn die aus dem Buch ist ein bisschen traurig.

Nach einer Pause kommt die Lust auf Aktivitäten wieder.

Die größten Ereignisse sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden. (Friedrich Wilhelm Nietzsche)

Ich brauchte dringend mal eine Pause. Alles aus lassen, abschalten, Ruhe. Angekrankt war ich, mit Fieber und Husten. Keine Lust zum Lesen hatte ich, Filme schauen wollte ich auch nicht. Also habe ich mich eingekuschelt, die Augen geschlossen und vor mich hingedämmert.

Mein alter Hausarzt fiel mir ein, der aus der Kinderzeit. Die Erwachsenen nannten ihn den „Dr. Eisenbarth“ (Name von einem privilegierten Landarzt in Sachsen-Gotha-Altenburg), weil er recht ruppig war zu den Erwachsenen. So musste man wahrscheinlich sein als Landarzt bei dem Starrsinn mancher seiner Patienten. Zu uns Kindern war er lieb. Wenn eines von uns krank war, kam er auf seinem Heimweg bei uns vorbei und sah nach uns. Waren wir krank, kam immer das gefürchtete Wort: „Bettruhe!“ Ich muss aber sagen, Recht hatte er. Es half. Und deshalb hatte ich mir das jetzt auch verordnet, so wie der Dr. Eisenbarth damals.

erzwungene Pause - krank zu Weihnachten
aus dem Fotoalbum meines Vaters für mich

Lungenentzündung hatte ich als Kind oft. Mein Vater machte als Polizist Nachtschichten und schlief dann am Tage im Sessel neben meinem Bett.
Wenn Dr. Eisenbarth kam, gab es eine Penicillin-Spritze. Das tat weh, denn das Zeuchs war wie Suppe.

Der Doktor machte mit mir einen Deal.
„Pass auf, ich spritze zuerst deinen Teddy. Und wenn der nicht weint, dann weinst du auch nicht.“
Das funktionierte. Ich saß da mit zusammengekniffenen Mund und Augen, sagte aber keinen Ton.

Die Pause jetzt hat mir gut getan. Ich merke, dass ich schon wieder umtriebig werde. Gut so. Dann wird auch alles wieder gut.
Ach, aber zu allem Unglück habe ich jetzt auch noch einen Ohrwurm:

„Ich bin der Doktor Eisenbarth,widewidewitt,
bum bum.
Kurir die Leut nach meiner Art,
widewidewitt, bum bum
Kann machen, daß die Blinden gehn,
Und daß die Lahmen wieder sehn.
Gloria, Viktoria,
widewidewitt juchheirassa!
Gloria, Viktoria,
widewidewitt, bum bum.

(aus dem Lied vom Dr. Eisenbarth)

Enkelinbesuch und an einem Morgen eine Puderzuckerwiese.

Gastfreundschaft besteht aus ein wenig Wärme, ein wenig Nahrung und großer Ruhe. (Ralph Waldo Emerson)

Es war ein schönes Wochenende. Wir hatten Enkelinbesuch. Herrn E.s Enkelin war da, eine taffe, junge Frau. Ich hatte sie ganz lange nicht mehr gesehen.
In meinem Zimmer steht ein Bild von ihr. Als Kind hatte sie mich bei den Schafen auf der Weide besucht. Inzwischen studiert sie internationales Lehramt, hat mehrere Auslandssemester hinter sich und schreibt gerade an ihrer Masterarbeit. Es war angenehm, mit der netten und klugen jungen Frau zu reden und zu schwatzen. Das rückt doch so einiges mal wieder klar und gerade.

Puderzuckerwiese tröstet über das Ende des Enkelinbesuchs hinweg.
Viel ist es ja nicht, aber ein bisschen sieht es aus wie Puderzuckerwiese.

Am Morgen hatte es doch noch ein bisschen geschneit in unserer Region. Es ist kaum der Rede wert, aber gefreut habe ich mich sehr über die Puderzuckerwiese. Das Foto musste ich noch halb im Dunkeln machen, weil der Schnee nicht liegen bleiben wollte. Ein bisschen tröstete er mich darüber hinweg, dass der Enkelinbesuch so schnell wieder vorbei sein sollte.

Über die junge Frau habe ich mich sehr gefreut. Es war schön mit ihr zu reden. Sie arbeitet schon neben ihrem Studium als Lehrer, nimmt ihren Beruf sehr ernst und ich wünsche mir, dass sie an ihren Idealen festhält.

Da ist so vieles, was den Lehrerberuf unatraktiv macht, wie viel zu große Klassen, immer mehr Reglementierungen, schlechte Organisation des Schulbetriebes. Ich wehre mich immer dagegen, von Fachkräftemangel zu reden, so wie über ein Unglück, was einfach so herein bricht. Dass viele aus ihren Berufen abwandern liegt daran, dass die Arbeitsbedingungen einfach schlecht sind.
Unter schlechten Bedingungen kann man nicht jede Schülerin oder jeden Schüler „mitnehmen“, so sehr man sich auch bemüht. Und das zerreibt.

Ein bisschen habe ich mich wiedergefunden in den Erzählungen der Enkelin. Allerdings hatte ich es noch viel, viel leichter als die jungen Leute jetzt, zumindest beim Unterrichten. Die Enkelin hat schon einige Auslandssemester weg und es ist auch noch eines geplant. Diese Chancen finde ich wertvoll und vor der jungen Frau ziehe ich meinen Hut. Sie weiß, was sie will.

nach dem Enkelinbesuch ist Zeit für die Renovierung der Vogelhäuschen
Der Nistkasten vor dem Haus trägt ein Häubchen.

Meinen Schlehenlikör haben wir mal anlässlich des Enkelinbesuch probiert. Ich bin zufrieden; er ist gut geworden, schmeckt sehr fruchtig und ich kann ihn durchaus anbieten. Bestimmt werde ich im nächsten Jahr wieder Schlehen ernten und verarbeiten.
Und jetzt gönne ich mir erstmal einen Schlehensaft. Alkohol ist nichts für mich.

Wie bin ich denn früher mit einer Krise umgegangen? Es ist ja nicht die erste.

Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen. Das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit. (John F. Kennedy)

Ja, ich empfinde das, was jetzt gerade um mich herum passiert und weltweit zu spüren ist, als Krise. Es ist nicht die erste in meinem Leben, aber diesmal ist es anders, bedrohlicher. Ich habe das Gefühl, dass mir da etwas entgleitet, ich keinen Einfluss nehmen kann. Die Berichterstattung in den Medien tut das Ihre dazu. Die Nachrichten überschlagen sich, ich habe kaum noch Zeit, sie zu verarbeiten.

Die erste große Krise kam, als ich meine Kündigung erhielt, damals, als ich im Schulhort arbeitete. Am letzten Schultag hatte ich sie am Nachmittag im Kasten. (600 anderen ging es genau so.) Zack, Ende! Keine Abfindung, kein Sozialplan. Das Schlimmste war, dass ich mich von meinen Kindern nicht verabschieden konnte.

Ich habe dann wie ein Löwe um eine Weiterbildung gekämpft, habe sie nach zwei Jahren dann auch bekommen. Und danach habe ich wieder als Lehrer gearbeitet und Softwareanwendungen unterrichtet. Ich habe das gerne gemacht. Bis man der Meinung war, dass man genug ausgebildet hat. Diesmal bekam ich keine Kündigung. Ich war freischaffender Dozent und wurde einfach nicht mehr gebraucht.

Rechnerarbeiten - Lichtblick in der Krise
Der Bergrat Borlach hat in diesem Pumpwerk Wasser von der Saale zum Gradierwerk befördert.

Oh diesmal hatte ich mehr zu knaupeln an der Situation. Sie veränderte viel, brachte finanzielle Verluste mit sich und krempelte mein Leben so richtig um.
Einmal habe ich gedacht, ich schaffe das alles nicht mehr. Dann traf ich Schafe und zwei total verlotterte Hütehunde. Sie weckten die Lebensgeister wieder und bescherten mir zwei wunderbare Jahre. Ich wusste wieder, was ich brauche und was nicht und wie ich sein und leben wollte. Nebenher wurde ich zur „Kräuter- und Wolltante“.

Jetzt aber ist alles anders. Ich habe das Gefühl, dass es nicht alleine von mir anhängt, wie diese Pandemie und Krise ausgeht. Das macht mir Angst. Aufgeben, wie damals vor der Zeit mit den Schafen, will ich nicht. Kräuter- und Wolltante bin ich immer noch und ich habe meinen Rechner „neu entdeckt“.

In einem Gespräch mit meiner Tochter sagte ich einfach mal so daher: „Eigentlich hab ich ja jetzt Zeit in der Krise. Da könnte ich doch einen Roman schreiben.“
Sie: „Na, mach es doch. Schreiben kannst du doch.“
Ich: „Nee, ich hab dieses Ratgeber-Buch gelesen und jenes und bekomme das nicht zusammen, wo es los geht und wo es hin soll.“
Sie: „Das ist dein Problem: Du liest Anleitungen ohne Ende und denkst ständig darüber nach anstatt einfach los zu schreiben. Mach es. Danach fängst du erstmal an mit Selbstlektorat an und nimmst dir dafür viel Zeit. Und dann sehen wir weiter.“
Töchterchen, du hast Recht. Ein Roman wird es bestimmt nicht, aber schreiben werde ich.

Bildbearbeitung - aktivitäten in der Krise
Der Dom in Naumburg

In der Krise jetzt, in Pandemiezeiten, sind Freundschaften zerbrochen. Oder waren es gar keine? Jeder hockt in seiner Blase und wehe, man stimmt den Meinungen nicht immer zu oder stört den alpha-Menschen in der Blase beim Denken. Ich finde so etwas schade, weil der, der „abrauscht“ auch gleich noch einige mitnimmt. Aber was soll’s. Meine Freundinnen, aus Leipzig und aus der Elsteraue, und ich sagen uns auch mal Dinge, die nicht unbedingt zustimmend sind. Aber, wir wollen für einander da sein und da ist das nötig. Vielleicht halten diese Freundschaften genau deshalb schon über viele Jahre.

Ab Montag haben wir in Sachsen wahrscheinlich einen harten Lockdown. Ich finde es zu spät, aber diese Notbremse dennoch gut. Zu tun habe ich genug und verziehe mich gleich wieder hinter meinen Monitor.